Thüringer Polizist nahm sich mit Dienstwaffe das Leben
ERFURT – Ein 59jähriger Polizeibeamter hat sich in der Nacht zum Sonntag mit
seiner Dienstwaffe erschossen. Im Innenministerium wurde offenbar versucht, den
Fall unter der Decke zu halten. Die Information soll Innenminister Christian
Köckert (CDU) bereits am Montagmorgen erreicht haben. Wie am Dienstag bekannt
wurde, hatte sich Harald Z. am Abend zuvor in seinem Erfurter Gartenhaus das
Leben genommen.
Als Waffe benutzte er seine Dienstpistole. Der Freitod sei sofort den
zuständigen Polizeibehörden gemeldet worden. Harald Z. habe sich nach einem
Streit mit seiner Frau erschossen.
Köckert ist dem Polizisten in den vergangenen Monaten oft begegnet. Denn Harald
Z. versah seinen Dienst ausgerechnet an der Pforte des Innenministeriums.
Demnächst sollte der Beamte in den Ruhestand versetzt werden, hieß es gestern
aus gut unterrichteten Kreisen. Ein Antrag des Beamten auf
Dienstzeitverlängerung sei behördenintern bereits abgelehnt worden. Kollegen
schließen nicht aus, dass der Freitod mit dieser Ablehnung in Verbindung steht.
Das Thüringer Innenministerium behandelte den Vorfall bis gestern vertraulich.
„Wir haben noch keine gesicherte Motivlage“, wies Ministeriumssprecher Wolfgang
Herbrandt Spekulationen nach den tieferen Gründen für den Selbstmord zurück.
Zuständig für Auskünfte sei die Polizeidirektion Erfurt.
Dabei soll bereits am Montag in der Polizeiabteilung des Ministeriums über den
Fall diskutiert worden sein. Abteilungsleiter dort ist seit wenigen Wochen der
ehemalige Präsident des Landeskriminalamtes (LKA) Harald Kunkel.
Erst im vergangenen September hatten sich zwei LKA-Beamte im Abstand von wenigen
Tagen das Leben genommen. Kurz zuvor hatte eine Studie der Universität Erfurt
dem LKA ein schlechtes Betriebsklima bescheinigt. Die befragten Polizisten
kritisierten damals vor allem den Führungsstil von Abteilungsleitern und die
Beförderungspraxis in ihrer Dienststelle. Kunkel, der persönlich nicht mit der
Kritik in Verbindung gebracht worden war, hatte die Studie im Jahr 2000 kurz
nach seinem Amtsantritt im LKA in Auftrag gegeben.
Einen Tag nach dem Bekanntwerden des jüngsten BSE-Falles in Japan hat die Tierärztin, die erste Symptome der Krankheit nicht erkannt hatte, Selbstmord begangen. Wie die Gesundheitsbehörde mitteilte, sei die Frau am Sonntag tot in ihrer Wohnung gefunden worden. (ap)
Wiegenlied des Freitodes: Wanda Golonka inszeniert „4.48
Psychose“ von Sarah Kane am Frankfurter Schauspiel
Eine übersichtliche Anzahl von Symbolen: Watte, Schaukeln. Die Watte ist über
den Einband des Programmhefts geklemmt. Die Schaukeln wanken an Seilen an den
Zügen auf der Hinterbühne des Frankfurter Schauspiels. Sie hängen. Die fragile
Figur im rot glühenden Streifenkleid sieht mit ihren stuppigen Haaren aus wie
ein aus dem Nest gefallener Vogel. Schon wieder so ein scheinbar vernutztes
Bild. Nur dass es kein Nest gibt. Nicht einmal das. Aber vom Hängen spricht sie,
von Tabletten und dem Aufschlitzen der Pulsadern und dem finalen Aufhängen. Vom
eigenen Suizid, während sie durch gut einhundert an Drahtseilen hängenden
Schaukeln wandert. Und ebenso vielen Zuschauern.
Den Zuschauern geht es gut. Sie werden geschaukelt, wie das Kind in dem
Sprichwort, welches metaphorisch den guten Ausgang einer Sache verheißt. In
Sarah Kanes nachgelassenem Stück „4.48 Psychose“ kann es solchen Optimismus
nicht geben; die junge Autorin schrieb es, bevor sie Selbstmord beging. Die
Schauspielerin, die dieses Poem eines Abschieds spricht, ist die Vollstreckerin
eines Testaments. Der Nachlass heißt Verzweiflung, die um 4.48 Uhr ein Ende
haben soll. Er erklärt, warum diese Mädchenfrau verloren zwischen all den
anderen Menschen umhergeht, warum keine Beziehung mehr möglich ist.
Die Zuschauer nämlich wiegen sich in Sicherheit, weil sie den Part haben, auf
der sicheren Seite des Theaters zu sitzen. Sie werden keineswegs verschaukelt.
Die Akteurin trägt das Risiko. Sie ist für das Drama zuständig. Zwischen den
Zuschauern und der Schauspielerin gibt es eine unsichtbare Wand, auch dann, wenn
diese Schauspielerin zum Greifen nah an einem vorbei streift, die Drahtseile zum
Schwingen bringt, man ihren Atem hört.
Ein Depressiver kann nicht erreicht werden und auch niemanden erreichen. Der
Depressive – und das ist vielleicht das Schlimmste – trägt in sich selbst eine
unsichtbare Wand, die den Kontakt mit sich verhindert, die alles Fühlen tötet.
Deshalb verletzen sich Depressive leicht selbst, der Schmerz ist immerhin ein
Gefühl. Sylvia Plath hat einen Ausdruck dafür gefunden und einen Roman daraus
gemacht: Unter der Glasglocke. Marlen Haushofer nannte das Phänomen in ihrem
Roman schlicht „Die Wand“.
Vielleicht ist das Theater mit seiner unsichtbaren Wand die treffendste Metapher
für die Depression. Vielleicht hat Sarah Kane deshalb Theaterstücke geschrieben.
Sylvia Plath hat man der Welt entrückt durch Elektroschocks. Sarah Kane wurde
voll gepumpt mit dem neuesten Design an Antidepressiva, Angsttötern und
vermeintlichen Glücklichmachern. Sie war hospitalisiert. Und wenn sie sich
selbst und die anderen schon nurmehr wie durch eine Scheibe wahrnahm, so
verstärkten die Mittel nur noch diese Isolation. Jede Pille gegen die Angst
macht auch Angst. Macht dick oder dünn oder fühllos. Lässt den Mangel an Liebe
noch deutlicher werden. Und klärt damit fatalerweise die Ausweglosigkeit einer
Situation. Das Ich gerät außer Kontrolle. Es fängt an zu zittern.
Wanda Golonka hat den Vorgang inszeniert. Marina Galic, die junge Frau im roten
Streifenkleid, spielt ihn. Ihre Schultern fliegen hoch. Oder sie kreuzt die
zitternden Arme, wie eben jemand die Arme kreuzt, der von keinem mehr
festgehalten wird und sich deshalb selbst festhalten muss. Damit sie nicht
auseinander fällt. Das hat kaum Dramatisches. Marina Galic spielt nicht die
gläserne Mauer in sich. Sie demonstriert mit schmaler Stimme die Distanz zum
Text. Deshalb wird er erträglich. Sie malt rote Zahlen auf den Boden von 100 bis
2 in Siebener-Sprüngen – magische Zahl. Sie trägt ein rotes Buch mit sich –
einziges Requisit. Am Ende trinkt sie eine Flasche Wasser leer, und während sie
spricht, fällt ihr das Wasser aus dem Mund, wie ihr die Wörter aus dem Mund
fallen.
Der Soundmann Georg Stummer hat aus dem Monolog einen Dialog gemacht. Marina
Galic spricht „4.48 Psychose“ wie ein Gedicht, Zeile für Zeile, mit
Phrasierungen, die den einzelnen Sätzen ein neues Gewicht geben. Das Wort „Ich“
darin schließt jede Übertragung auf andere aus. Das macht es den Zuschauern
leicht, sich gut zu fühlen, sich in Sicherheit zu wiegen. Auch, wenn am Ende
gelbes Licht alles und jeden entfärbt und ganz unwirklich aussehen lässt, wird
man das Kind schon schaukeln. Die Ankündigung eines Todes trifft definitiv nicht
einen selbst. Das schreibt Sarah Kane, so inszeniert und bebildert es Wanda
Golonka, so spielt es Marina Galic.
"Norway.today" in der Tapetenfabrik und und "Creeps" in
der Brotfabrik in Bonn-Beuel
Bonn-Beuel/Tapetenfabrik. Theater als Chatroom: Julie will sich umbringen und
sucht dafür einen geeigneten Partner, keinen blutigen Anfänger. So einfach ist
das im Netz. Ihr Text läuft auf dem riesigen, schräg halb in den Boden gerammten
Bildschirm mit. Im Zuschauerraum findet sich einer, der mitmachen will. Er heißt
August, was schon mal gut passt. Sie will endlich mal was Eigenes tun, ihm hängt
der ganze "Fake" dieser Welt sowieso zum Hals raus. Ab also mit den sommerlichen
Namen in den winterlichen hohen Norden zum ersten und letzten wirklich großen
Erlebnis. Beim freien Fall vom Felsen in den Fjord zehn Sekunden höchster
Wirklichkeit gemeinsam erleben - dafür hätte sich das kurze bisherige Leben fast
schon gelohnt.
Igor Bauersimas "norway.today" gehört zu den spannendsten neuen Theatertexten,
weil er die neue Medienwelt nicht nur als Kunstmittel nutzt, sondern zum Thema
macht. In der rappelvollen Bonner Tapetenfabrik hat das Kinder- und
Jugendtheatertreffen NRW eine Inszenierung des Krefelder KREScH- Theaters
(Regie: Helmut Wenderoth) gezeigt. So düster und zynisch wie der Plot erst mal
klingt, ist die Geschichte gar nicht. Viele Sätze werden erst komisch
doppeldeutig, wenn man sie im Angesicht des Todes bewusst ausspricht. Julie
(Barbara Feldbrugge als coole Weltverächterin, die unter rauher Schale doch
einen weichen Kern verbirgt) und August (Franz Mestre nicht mehr ganz aus der
Surfergeneration, aber mit seinem Jargon der Eigentlichkeit dicht dran) treffen
sich nach der streng geheimen Internet-Verabredung im Taxi zum eisigen Gipfel,
in Frank Andermahrs schönem Bühnenbild einfach oben auf dem Monitor.
Ein Zelt, einen CD-Player, eine Videokamera und was sonst noch zum Überlebenskid
gehört, haben sie vorsorglich mitgebracht. Ihre mögliche Liebesgeschichte
spielen sich die beiden zärtlich im Konjunktiv vor, während auf dem Bildschirm
schon wieder das warme Leben in den fernen Städten aufflackert. Ein perfektes
Abschiedsvideo vor dem Selbstmord ist ohnehin eine allzu große stilistische
Herausforderung. Bei den endlosen Wiederholungen der dilettantischen
Drehversuche kippt die Aufführung von der Ironie in die Langeweile. Dass die
beiden für den Tod verloren sind, hat man längst begriffen. Die Reisetasche, mit
der sie den freien Fall testen, bleibt auf halber Strecke hängen. Die Aufführung
auch.
Brotfabrik. Arno ist ein echtes Ekel. Hockt unsichtbar wie Big Brother im
Regieraum und macht die Mädels an, die sich vor den Fernsehkameras abstrampeln,
um den begehrten Job als Moderatorin der neuen superheißen Trendshow "Creeps" zu
kriegen. "Survivaltraining fürs Fernsehstudio" nennt der erfolgreiche Autor Lutz
Hübner sein brillant geschriebenes Stück "Creeps", das inzwischen auf etlichen
Spielplänen steht. Zum Kinder- und Jugendtheatertreffen NRW hatte die Jury
Andrea Gronemeyers flotte, freche Inszenierung vom Kölner Ömmes & Oimel-Theater
in die Brotfabrik eingeladen. In der Medienstadt Köln liegen die Studios ja
gleich um die Ecke, in denen sich solche kleinen Dramen tagtäglich abspielen wie
das von Petra, Maren und Lilly, die sich da zu einem Casting eingefunden haben.
Hübners Text scheut vor keinem Klischee zurück: Petra (Tina Seydel) aus Chemnitz
hinkt mit ihrem unverwüstlichen Ossi-Charme dem Lifestyle hinterher. Maren
(Helga Reichert) ist das nette Mädchen aus dem Ruhrgebiet. Die kesse Lilly
(Beatrice Jean-Philippe) mit ihren Designerklamotten kommt - natürlich - aus
Düsseldorf. Drei Typen also, die aufeinander losgelassen ziemlich viel Zoff
versprechen. Schließlich kann's nur eine Siegerin geben. Arno heizt ihnen mit
sanfter Stimme und gemeinen Witzen aus dem Off ein, und es dauert nicht lange,
bis es zwischen den Kandidatinnen richtig knallt. Wenn die Regie ein bisschen
zaubert und ihr 'Material' über den Bildschirm flimmern lässt, werden ihre
Star-Träume ja auch fast schon Wirklichkeit.
Nur Petra kennt die ganze Hackordnung noch nicht so recht und versucht
auszugleichen. Erst als Arno ihr östliches Selbstbewusstsein rabiat angreift,
flippt sie aus. Und die beiden anderen haben die ganzen Demütigungen auch satt.
Gemeinsam demolieren sie das bunte Studio (Petra Buchholz). Aus der Traum?
Überhaupt nicht, nur ausgenutzt: denn genau das, was sie nicht zeigen wollten,
war gewollt. Sie kommen ins Fernsehen - als Trailer zu "Creeps". *
Schulpsychologen warnen vor Diät-Missbrauch bei
Jugendlichen
Mit Besorgnis sehen die Bamberger Schulpsychologen, dass zurzeit Fasten und Diät
"groß angesagt" sind und ein für Bamberg ausgeschriebenener Wettbewerb besonders
viele jüngere Frauen anspricht.
Nun seien Diät und Abstinenz zwar angebracht bei Personen, die an erheblichem
Übergewicht oder aber unter massiven Minderwertigkeitsgefühlen litten. Doch
leider erfahren die Bamberger Schulpsychologen Dr. Hoffmann, Weich und Hümmer
bei ihrer Tätigkeit, dass das Pendel häufig in die falsche Richtung ausschlägt
und viele junge Mädchen, die es oft gar nicht nötig haben, übertriebene Diät und
Fehlernährung betreiben.
Sie warnen deshalb Eltern und andere Erziehungsberechtigte, mäßigend auf die
Jugendlichen einzuwirken, damit aus Diäten keine Essstörungen mit massiven
Spätfolgen erwachsen. Im Alter zwischen zwölf und 16 Jahren entstehen besonders
häufig gravierende Störungen, die Krankheitswert erreichen können. Anorexia
nervosa, die so genannte Pubertätsmagersucht, ist die bedenklichste Form einer
Störung, die aus falsch verstandener Diät entsteht. An ihr sind schon viele
Jugendliche gestorben.
Dieses Krankheitsbild prägt sich oft hartnäckig aus und ist vielfach schwer zu
therapieren. Mehrere Mädchen in Bamberg müssen über lange Zeit ständig
kontrolliert werden, damit sie nicht wieder in eine körperliche Krise fallen.
Manche Patientinnen hungern sich regelrecht zu Tode und haben, obwohl schon
völlig abgemagert, immer noch das Gefühl, zu dick zu sein. Eine derartige
Fehlernährung führt auch zu massiver körperlicher Entwicklungsverzögerung und
bewirkt eine erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten.
Bis zum Selbstmord
Ebenfalls bedenklich, wenn auch nicht so gefährlich, ist Bulimia nervosa, die so
genannte Ess-Brech-Sucht. Die betroffenen Frauen leiden einerseits unter
Heißhunger, träumen andererseits aber vom Schlankheits-Ideal wie die Mannequins
es verkörpern. Um diesem Ziel nahe zu kommen, möchten sie die Nahrung durch
Erbrechen oder Einführen von starken Abführmitteln gleich wieder aus dem Körper
entfernen. In beiden Krankheitsfällen kann das Fehlverhalten zu Kontaktstörungen
mit der Umwelt, zu starken Selbstwertkrisen und manchmal sogar zum Selbstmord
führen.
Die Schulpsychologen raten deshalb Eltern und Lehrern, ein wachsames Auge auf
Erscheinungen zu haben, die erste Anzeichen dieser Erkrankungen sein können. Sie
bitten sie, Kinder und Jugendliche über die Gefahren aufzuklären und zu warnen.
Sie sollten bei Diät oder Fehlernährung kontrollierend einwirken, wenn sie
merken, dass über das Ziel hinaus geschossen wird.
Das durch die Medien vermittelte Schönheitsideal der Barbie-Puppen-Figur sei
schlichtweg falsch: Wesentlich gesünder sei es in der Regel, drei oder vier Kilo
mehr auf die Waage zu bringen und eine gesunde körperliche Entwicklung zu
nehmen, als durch eine gravierende Essstörung langfristige körperliche und
seelische Schäden zu riskieren.
Pilotprojekt: Vorlesungsreihe soll Zusammenarbeit beider Institutionen in Gang bringen
Brixen (rr) - Im Rahmen der Vorlesung
"Pastoralpsychologie" an der Philosophisch- Theologischen Hochschule Brixen wird
erstmals der Versuch unternommen, die Bereiche Theologie und Psychiatrie in
interdisziplinärer Absicht näher zu bringen.
"Mein Anliegen war es, aus der Praxis heraus den Studenten für die Praxis eine
seelsorgerische Kompetenz im Umgang mit psychisch kranken, leidenden, sterbenden
oder trauernden Menschen zu vermitteln", sagt der Priester und Psychologe
Gottfried Ugolini, Dozent an der philosophisch-theologischen Hochschule Brixen.
Im Sommersemester 2002 hat er im Rahmen seiner Vorlesung "Pastoralpsychologie"
gemeinsam mit Kinderpsychiater Ingo Stermann, Psychotherapeut und Oberarzt im
Psychiatrischen Dienst am Krankenhaus Brixen, ein Pilotprojekt gestartet, das
eine künftige Zusammenarbeit zwischen den beiden Institutionen Theologie und
Psychiatrie in Gang bringen soll.
Bislang hat der aus Duisburg stammende Ingo Stermann im Rahmen der Vorlesung von
April bis Mai vier Einheiten bestritten und den Studenten der Theologie, den
Priesterkandidaten sowie den interessierten Gasthörern eine Einführung in
Krankheitslehre, Vorgehensweise und Selbstverständnis der Psychiatrie gegeben.
Eine fünfte und letzte Einheit, die morgen stattfindet, ist der Diskussion
gewidmet.
"Bedenkt man die begriffliche Verwandtschaft von Psychotherapie und Seelsorge,
so sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass sich die beiden
Institutionen begegnen und Kontakt pflegen", ist Ingo Stermann überzeugt. Trotz
noch bestehender Berührungsängste sollten sich beide Wissenschaften den Spiegel
vorhalten. "Besonders die Psychiatrie müsste sich in die Karten schauen lassen."
Für Ingo Stermann sind die Theologie und die Psychiatrie zwei Exponenten und
Motoren der hiesigen Gesellschaft und Kultur: Der katholische Glaube und
religiöse Einrichtungen seien traditionelle Kristallisationspunkte der
Südtiroler Identität. Die hohe Zahl an psychischen Erkrankungen (einschließlich
Alkoholismus und Selbstmordrate) und der langwährende Versorgungsnotstand seien
ein weiteres historisches Faktum, das oft der der Kirche und ihren Gemeinden
aufgelastet war und heute dem Psychiatrischen Dienst als "Erben" anvertraut ist.
Und schließlich arbeiten Psychiatrie und Kirche in vielerlei Hinsicht im
gleichen sozialen Umfeld (Altenbetreuung, Kriseninterventionen, Beratung und
Begleitung, Krankenhausseelsorge) und haben gesellschaftliche Aufträge zu
erfüllen. Außerdem machen der Psychiatrische Dienst als Bestandteil des
öffentlichen Gesundheitswesens und die Gemeinde- und Krankenhausseelsorge als
Elemente der pastoralen Kirchenarbeit zweimal Dienst am Menschen, häufig
getrennt und aneinander vorbei, obwohl beide nicht selten mit denselben Menschen
(Patienten oder Angehörige) zu tun haben. Nicht zuletzt benötigt mancher Mensch
in einem theologischen Beruf einen Psychiater als Arzt und mancher Psychiater
würde einen Seelsorger als Gesprächspartner benötigen.
NEU-ISENBURG (SN, dpa).
Eine deutschamerikanische Studie belegt, dass Amokläufer häufig Nachahmungstäter
sind. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass solche Gewalttäter durch
Medienberichte zu ihren Taten angeregt werden. "Amokläufe, die Furore machen,
lösen Nachahmereffekte aus", fasst die "Ärzte Zeitung" (Neu-Isenburg) eine
Untersuchung zusammen.
Forscher aus Würzburg, Mannheim, Michigan und New-Jersey haben 143 Amokläufe in
aller Welt zwischen 1993 und 2001 statistisch untersucht. Dabei stellen sie
fest, dass sich die Taten nicht gleichmäßig übers Jahr verteilen, sondern in
Wellen auftreten. 44 Prozent der Amokläufe passierten innerhalb von zehn Tagen
nach einer in den Medien berichteten derartigen Tat. Auch Täter, Opfer und
Ausführung ähnelten sich deutlich. Daraus schließen die Forscher, dass wie bei
Selbstmorden auch bei Amokläufen die Imitation eine Rolle spielt.
"Eine Aufsehen erregende und detaillierte Berichterstattung in den Medien
fördert solche Imitationen und sollte unterbleiben", fordert einer der
Mitautoren, Prof. Armin Schmidtke von der Abteilung für Klinische Psychologie
der Universität Würzburg. Es könne fatale Folgen haben, wenn, wie in Erfurt,
Kamerateams den Weg des Attentäters nachfilmen
Besonders schlimm trifft es die Kinder
Aachen (an-o). Gewalttaten, schwere Unfälle oder Katastrophen hinterlassen oft
mehr als nur körperliche Verletzungen. In solchen Fällen hilft die
Trauma-Ambulanz des Aachener Universitätsklinikums.
Es sind Erlebnisse, die sie ihr ganzes Leben nicht mehr vergessen werden: Ob
Schüler und Lehrer in Erfurt oder die Opfer des Attentats auf der tunesischen
Ferieninsel Djerba - sie alle haben bedrohliche und erschütternde
Gewalterfahrungen durchleiden müssen, die alleine oft nur schwer zu bewältigen
sind. Typische Symptome für ein Trauma sind dabei neben Depressionen und
Angstzuständen auch Schlafstörungen oder Nervosität.
Schnell erkennen und therapieren
Besonders schlimm trifft es nicht selten Kinder: Körperliche oder sexuelle
Misshandlungen können bei ihnen zu schweren seelischen Erkrankungen führen. Im
Rahmen des Netzwerkes Opferhilfe Aachen (NOA) bietet die Trauma-Ambulanz
deswegen seit dem 1. Januar 2002 Unterstützungs-, Beratungs- und
Behandlungsmöglichkeiten für alle Betroffenen. "Derartige Trauma-Erfahrungen
müssen ähnlich der äußeren Notfallversorgung bei der Erstbehandlung schnell
erkannt und therapiert werden, damit die Patienten diese erfolgreich verarbeiten
können", erklärt Guido Flatten, Leiter der Trauma-Ambulanz für Erwachsene. Bei
Kindern seien die Auswirkungen noch weitaus gravierender, da sie Unglücksfälle
und Gewalttaten kaum erfassen könnten.
Veränderung des Gehirns
"Ein Trauma kann durch Stress Veränderungen des Gehirns bewirken, die nur sehr
schwer oder gar nicht rückgängig zu machen sind", sagt die Direktorin der Klinik
für Kinder- und Jugendpsychiatrie Beate Herpertz-Dahlmann. Chronische
Depressionen oder gar Persönlichkeitsstörungen könnten die Folge sein.Damit es
soweit nicht kommt, wurde zum Beispiel auch dem 15-jährigen Opfer der Explosion
von Djerba, das wegen schwerer Verbrennungen in das Aachener Klinikum
eingeliefert worden war, psychologischer Beistand gewährt. In welcher Form die
Behandlung vorgenommen wird, ist dabei von der jeweiligen Situation abhängig.
"Gerade bei Kindern nützen Gesprächstherapien oft nicht viel", erläutert Freya
Hahn, die Leiterin der Ambulanz für Kinder und Jugendliche. So habe man zum
Beispiel im Falle eines jungen Vergewaltigungsopfers immer wieder den Tatort am
Schulweg abgehen müssen, um dem Kind schließlich helfen zu können.
Kosten werden übernommen
Das Angebot der Trauma-Ambulanz richtet sich sowohl an Opfer von Gewalttaten wie
an Unfall- und Katastrophenopfer, Flüchtlinge sowie Angehörige mit
Verlusterfahrungen bei Unfällen oder Selbstmorden. Im Regelfall werden die
Kosten für bis zu 15 Behandlungseinheiten problemlos übernommen, in
Ausnahmefällen auch noch mehr.
Die Ambulanz ist telefonisch zu erreichen unter: 0241 8080808. Infos auch im
Internet unter: www.psychosomatik.ukaachen.de