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Nikola Gruevski: Der kleine Diktator

Nikola Gruevski, seit 2006 an der Regierung, hat im ethnisch geteilten Mazedonien ein halbautoritäres Regime installiert. Dabei hilft ihm die griechische Blockadepolitik.

Wenn in Brüssel und den europäischen Hauptstädten die Rede auf den Westbalkan kommt, ist Mazedonien selten ein Thema. Der Blick richtet sich viel eher auf Serbien und Kosovo, wo EU-Diplomaten im letzten Jahr mit dem «Normalisierungsabkommen» Erfolge vorweisen konnten. Allenfalls spricht man von Bosnien-Herzegowina, dessen Dauerkrise jetzt wirtschaftspolitisch behandelt werden soll. Für die internationalen Medien ist Mazedonien ein weisser Fleck. Nur das monumentale Stadterneuerungsprojekt «Skopje 2014», eine Art nationaler Themenpark, zieht gelegentlich Journalisten ins Land: Über diesen Versuch, sich eine historische Identität zu basteln, kann man sich geistreich lustig machen.

Teure Geschenke

Doch Mazedonien ist ein Thema, ja sogar ein Schulbuchexempel, wenn es um den Trend geht, den der Grazer Politikwissenschafter Florian Bieber als «autoritäre Versuchung» Südosteuropas beschreibt: schwache Staaten, deren Institutionen von den Regierungsparteien benutzt werden, um die Anhängerschaft zu versorgen und in permanenten Kampagnen ideologisch auf Trab zu halten. Weil die Medien von der Regierung abhängig sind und die Justiz schwach ist, wird im staatlich dominierten öffentlichen Raum die Opposition erfolgreich an den Rand gedrängt. Dieses Modell hat sich in Abstufungen von Griechenland bis Ungarn, von Serbien bis Rumänien, inner- und ausserhalb der EU etabliert.

Was Mazedonien speziell macht, ist die Konsequenz, mit der Ministerpräsident Nikola Gruevski eine autoritäre Halbdemokratie eingerichtet hat. Er ist seit 2006 Regierungschef und wird auch nach dem nächsten Urnengang Ende April weiterregieren. Seine Herrschaft ruht auf drei Stützen: einer Ideologie der Bedrohung von aussen und von innen, einem homogenen Geschichtsbild der nationalen Gemeinschaft sowie der effizienten Kontrolle von Institutionen und Medien. Dies alles ist kostspielig, und genau das ist die Achillesferse des Systems. Es funktioniert nur, solange die Gefolgschaft auch materiell bei Laune gehalten werden kann. Im wirtschaftlich schwachen Mazedonien wird das auf die Dauer zum Problem.

Die Geburtsstunde des Systems war der 3. April 2008. Am Nato-Gipfel in Bukarest wurde Mazedoniens Aufnahmegesuch wegen Griechenlands Vetodrohung übergangen. Damit war klar, dass die euroatlantische Integration Mazedoniens auf lange Zeit blockiert sein würde. Seit der Unabhängigkeitserklärung der jugoslawischen Teilrepublik 1991 opponiert Griechenland dagegen, dass der neue Staat den Namen Mazedonien trägt. Es sieht darin einen Anspruch auf sein Territorium, dessen Nordprovinz gleich heisst. Athen klagt auch über den «Raub» seiner Geschichte, da es sich als Alleinerbe des antiken Mazedonien versteht. Zwar haben die beiden Länder 1995 ein Abkommen geschlossen, worin Mazedonien jeder Gebietsvergrösserung abschwor und Athen sich verpflichtete, dem Nachbarland nicht beim Beitritt zu internationalen Organisationen im Weg zu stehen. Doch Athen hält sich nicht daran. Mazedonien rutscht seither immer stärker in eine ungesunde Isolation ab.

Noch vor einigen Jahren hatte das Land als Erfolgsgeschichte gegolten. Nachdem 2001 eine Guerillatruppe von Angehörigen der albanischen Volksgruppe Mazedonien an den Rand des Bürgerkriegs gebracht hatte, wurden im Ohrider Abkommen – auf Druck von Brüssel und Washington – Reformen vereinbart. Diese vergrösserten die Teilhabe der Albaner am Staat, ohne dessen Einheit infrage zu stellen. Doch in der Folge verstärkte sich eine andere Entwicklung: Die politischen Eliten der Mazedonier und der Albaner teilen den Staat informell auf und kontrollieren ihn über ihre Parteien. In der Gesellschaft vertieft sich die Segregation.

Nationalkitsch

Gruevski hat mit Griechenland ein Feindbild, das er mit Leidenschaft kultiviert, am augenfälligsten im Projekt «Skopje 2014». Dreimal habe Skopje sein Gesicht verändert, erzählt Andrej Zernovski, der oppositionelle Bürgermeister des Stadtkreises Zentrum. 1689, als General Piccolomini die Stadt niederbrannte, 1963 beim fatalen Erdbeben und jetzt mit Gruevskis Projekt.

In der Tat: Aus dem bescheidenen Hauptplatz, dessen Attraktionen die osmanische Vardar-Brücke, die gegenüberliegende Türkenfestung und der Blick in die nahen Berge waren, ist ein skurriles Gesamtkunstwerk geworden. Umgeben von Denkmälern mazedonischer Patrioten, erhebt sich 25 Meter hoch über einem Brunnen Alexander der Grosse zu Pferd. Vom andern Vardar-Ufer grüsst die Brunnenstatue seines Vaters, Philipp von Mazedonien. Und dazwischen sitzt an einem dritten Brunnen mehrfach und in Bronze Mutter Olympia: zuerst mit Alexander schwanger, dann den Kleinen säugend und schliesslich den kommenden Herrscher auf dem Schoss haltend. Barocke Kuppeln, klassizistische Tempel und ein etwas gequetschter Triumphbogen umrahmen den Figurenwald.

Die Botschaft ist klar: Hier leben die Nachkommen eines antiken Volkes. Dass der Alexanderkult die Einigung mit dem von Krisen und Spardiktaten gedemütigten Nachbarn Griechenland schwieriger macht, liegt auf der Hand. Aber vielleicht ist Gruevski an einem Ausgleich gar nicht interessiert. Denn die Athener Blockade erspart ihm die Reformen, die mit EU-Beitritts-Verhandlungen unumgänglich würden.

In einem historisierenden Neubau, dem «Museum des mazedonischen Kampfes für Staat und Unabhängigkeit», findet das Narrativ der Denkmäler seine Fortsetzung. Auf riesigen hyperrealistischen Ölgemälden wird der Kampf gegen Türken, Serben, Bulgaren und Griechen gezeigt. Erläuternde Texte, Grafiken und Karten fehlen. Dafür erklärt Philipp, ein sympathischer junger Mann, mit Begeisterung den nationalen Bilderbogen.

Fast unglaublich ist die Darstellung der titoistischen Periode. In einem abgedunkelten Raum, einer Mischung aus Gulag und Folterkammer, darben als «Opfer des Kommunismus» das mazedonische Volk und seine Führer. Kein Wort von Philipp, dass unter Tito das Land erstmals Staatlichkeit erhielt und ein entsprechendes Nationalbewusstsein sich ausbreitete. Spätestens hier wird klar, dass dies kein Nationalmuseum ist, sondern der Schrein der Regierungspartei. Die verzerrte Darstellung der Nachkriegszeit soll auch die sozialdemokratischen Nachfolger der Kommunisten diskreditieren.

Junge Leute mit neuen Ideen

Die Opposition gegen «Skopje 2014» hat neue Protestbewegungen hervorgebracht, abseits der traditionellen Parteien. Es gab Demonstrationen für die Offenlegung der Kosten; die Umverteilung der Gelder zugunsten von Schulen und städtischer Infrastruktur wurde gefordert. In diesen Gruppen verkehren nun, entgegen dem Trend, sowohl Mazedonier als auch Albaner. Was die meist jungen Leute verbindet, sind der Wunsch nach einem städtischen Lebensstil und die Ablehnung der ethnisch begründeten Herrschaft der etablierten Parteien. Viel erreicht haben sie allerdings bisher nicht.

Vom Aufbruch profitierte die «Carsija», der alte türkische Markt mit seinen malerischen, einstöckigen Häusern und den Kopfstein-Gässchen. Mit steigenden ethnischen Spannungen und dem Krieg in Kosovo verödete das Viertel in den 1990er Jahren. Tagsüber wurde gehandelt und gekauft, aber bei Einbruch der Nacht verschwanden die Leute. Nur ein paar albanische Teestuben blieben offen, in denen Männer bei fahlem Licht Karten spielten.

Jetzt herrscht Hochbetrieb. In warmen Nächten drängen sich die Leute um die Tische der kleinen Bars. Farbige Glühlampen beleuchten die alten Mauern, die Gäste wippen mit vollen Gläsern zu Reggae- und Salsaklängen. Anders als in den Cafés am Hauptplatz senkt hier niemand die Stimme, wenn die Diskussion politisch wird. Was viele dieser Jungen verärgert, ist die Gesellschaftsideologie der Regierungspartei. Ein restriktives Abtreibungsgesetz hat die liberale Fristenlösung aufgehoben. Die steigende Scheidungsrate wird von Parteifunktionären als Folge «westlich inspirierter» Frauenemanzipation gegeisselt. Obwohl, wie eine Studentin stolz bemerkt, die Lage der Frau in Jugoslawien doch besser gewesen sei als im Westen. Homophobe Tendenzen würden subtil gefördert, erzählt ein Aktivist. Das Gesetz gegen Diskriminierung habe keinen Artikel, der die Benachteiligung aufgrund der sexuellen Orientierung betreffe. Die staatliche Dauerkampagne, mehr Kinder zur Welt zu bringen, bleibe ohnehin wirkungslos, solange die Wirtschaft stagniere.

In der «Carsija» werde nicht nur geschimpft und getrunken, versichert ein Gesprächspartner. Es gebe kulturelle und politische Veranstaltungen, die gut besucht seien. Ein Skeptiker wendet ein, dass «wir nicht mehr ganz Jungen» hier dank Kommerz und Kultur den tristen Alltag vergessen. Die Sozialwissenschafterin Katerina Kolozova sieht das differenzierter. Der Besuch der neu erwachten Altstadt mit ihren Bars und Treffpunkten sei für viele ein bewusster Schritt, das osmanische Erbe anzunehmen – ein drittes Identitätsangebot, jenseits des mazedonischen und des albanischen Nationalismus.

Schikanöse Inspektionen der Steuerbehörde und eine Regierungspropaganda, die die junge Bewegung als unpatriotisch verunglimpft, machen dem «andern Skopje» das Leben schwer. Doch der Widerstand bleibt: Gegen die nationalistische Möblierung der Stadt werde in der «Carsija» der öffentliche Raum als Voraussetzung der Demokratie verteidigt, sagt Kolozova.

In der Sackgasse

Mazedonien befindet sich offenkundig in einer gefährlichen Sackgasse. Die dauerhafte Abwendung von der EU-Integration vergrössert das Risiko interethnischer Konflikte. Und es ist bereits jetzt zweifelhaft, ob das Land die Kriterien für Beitrittsverhandlungen noch erfüllt, selbst ohne griechisches Veto. Was tun? Statt die Lösung der Namensfrage als Voraussetzung für Beitrittsverhandlungen zu nehmen, sollte sie an deren Ende eine letzte Bedingung für den EU-Beitritt sein. Die Hoffnung ist berechtigt, dass in langen Jahren der Verhandlungen mit Brüssel ein gesellschaftlicher Wandel in Gang kommt, der das autoritäre System Gruevskis aufweicht.