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Aufbruch ins stalinistische Paradies

Trotz Armut und Hunger sieht sich die Diktatur Nordkorea als Nation mit einer glänzenden Zukunft.
Nordkorea bereitet sich auf den 100. Geburtstag des Staatsgründers Kim Il Sung im Jahr 2012 vor. Bis dahin will das Land stark und mächtig sein.

Bernhard Bartsch, Pjongjang

Ein Fluss in Nordkorea, achtzig Kilometer nördlich der Hauptstadt Pjongjang. An den Ufern ist das Wasser noch gefroren, Eisschollen treiben langsam talabwärts. Dazwischen waten Menschen mit nackten Beinen. «Sie graben den Schlamm aus dem Fluss, um ihn auf ihren Äckern zu verteilen», erklärt eine ausländische Entwicklungshelferin. «Die fruchtbare Erde muss herausgeholt werden, bevor die Schneeschmelze kommt und alles wegspült.» Die Sisyphusarbeit sei die Folge einer Anweisung von Nordkoreas Diktator Kim Jong Il, der den Bauern befahl, die bewaldeten Hänge abzuholzen und dort Felder anzulegen. Der Eingriff in die Natur führte zu Erosion, und seitdem spült der Regen die dünne Ackerkrume vielerorts in die Flüsse.

Der Arbeitseinsatz im eisigen Fluss ist symptomatisch für die Situation in dem erzkommunistischen Land, dessen Regime die Fortsetzung des Kalten Krieges zu seiner Überlebensstrategie gemacht hat und sein Volk rücksichtslos dem eigenen Machterhalt opfert. Obwohl Nordkorea sich weitgehend abschottet, durfte der Korrespondent der «NZZ am Sonntag» das Land seit Anfang März zweimal bereisen – eine Gelegenheit, welche die Regierung zu nutzen versuchte, um im Ausland für Sympathien zu werben und sich als Opfer imperialistischer Mächte darzustellen.

«Wir sind nicht diejenigen, die andere Länder bedrohen, sondern diejenigen, die von anderen Ländern bedroht werden», erklärt Ri Jong Chol, Europa-Beauftragter im Zentralkomitee der Arbeiterpartei. «Wenn man Atomwaffen auf sich gerichtet sieht, kann man sich nicht mit Heugabeln verteidigen», rechtfertigt er das umstrittene Nuklearprogramm, das der Hauptgrund für die politische Eiszeit zwischen Nordkorea und seinen Nachbarn ist. Wie alle Nordkoreaner trägt Ri eine rote Anstecknadel mit dem Bild des Staatsgründers Kim Il Sung, der auch achtzehn Jahre nach seinem Tod noch als «Ewiger Präsident» amtiert. Auch an den Wänden des Konferenzsaals hängen Bilder von Kim und seinem heute regierenden Sohn. «Viele haben uns schon den Zusammenbruch vorhergesagt, aber die Welt wird sehen, dass wir im nächsten Jahr, zum 100. Geburtstag unseres Grossen Führers Präsident Kim Il Sung, ein mächtiges und aufblühendes Land sein werden», spult Ri die offizielle Linie herunter. «Wer das nicht glaubt, versteht nicht, welche Macht davon ausgeht, dass sich das Volk mit all seinen Kräften um unseren weisen Führer, den Grossen General Genosse Kim Jong Il zusammengeschlossen hat.»

Auch Vize-Aussenminister Kung Sok Ung beschwört den «Generalkampf» für den nationalen Durchbruch im Jahr 2012 und erklärt, der Produktionsplan des ersten Quartals sei schon im Februar übererfüllt gewesen. Dennoch kommt er nicht darum herum, das Ausland um Hilfe anzurufen. «Wir hatten einen sehr harten Winter», sagt er. «Deshalb wären wir sehr dankbar, wenn die internationale Gemeinschaft uns noch einmal mit Nahrungsmittelspenden helfen könnte.»

Einerseits Macht demonstrieren und andererseits um Lebensmittel bitten scheint für die Nordkoreaner kein Widerspruch zu sein. Gegenüber Besuchern versucht das Regime die Armut zu verstecken. In den Ausländerhotels schalten dienstbare Geister schon nachmittags alle Lampen an, so als könne Stromverschwendung Überfluss suggerieren. In der Kim-Il-Sung-Universität werden stolz Computer mit Flachbildschirmen vorgeführt, angeblich ein Geschenk von Kim Jong Il.

Doch die Fassade hält nicht. An Bahntrassees und Strassenböschungen sieht man gebeugte Frauen, offenbar auf der Suche nach essbaren Wurzeln und Blättern. Auf dem Land ziehen dick eingepackte Menschen mit Bündeln und klapprigen Wagen am Strassenrand entlang oder rasten auf der gefrorenen Erde. Dabei verhüllt der Winter noch die schlimmste Not. «Wenn die Menschen im Sommer dünne Kleidung tragen, sieht man erst, wie mager sie sind», erklärt die Entwicklungshelferin, die wie die meisten ansässigen Ausländer nicht namentlich genannt werden möchte, um ihre nordkoreanischen Partner nicht zu brüskieren oder zu gefährden. «Im Winter sterben viele Menschen an einfachen Erkältungen, im Sommer an Durchfällen, weil sie selbst harmlosen Infekten nicht gewachsen sind.» Zudem hat die jahrzehntelange Unterversorgung zu weitverbreiteter Kleinwüchsigkeit geführt. Südkoreanische Medienberichte, wonach Nordkoreas Militär die Mindestgrösse von Soldaten von 1,50 auf 1,47 Meter herabsetzen musste, um genügend Personal rekrutieren zu können, hält sie für glaubwürdig. «Wenn Kinder in der Wachstumsphase nicht richtig ernährt sind, erleiden sie Entwicklungsschäden, die sie nie wieder aufholen können», erklärt die Fachfrau. «Deshalb werden die heutigen Probleme Nordkorea noch lange verfolgen.»