An
dieser Stelle
wurde bereits kritisch über die Methodik der GERAC-Gonarthrose Studie berichtet
(31). Nun wurde Ende September auf dem Neurologenkongress in Wiesbaden das
Ergebnis der GERAC-Migränestudie vorgestellt. Auch diese große und sehr teure
Doppel-Blind-Studie zur Wirksamkeit der Akupunktur bei Migräne wurde aber
handwerklich offenbar nicht sauber durchgeführt und verstieß durch
Vorabveröffentlichungen mehrfach gegen die Regeln des "Good Clinical
Practice", welches strikte Geheimhaltung des Studiendesigns gegenüber den
zu verblindenden Personen (hier insbesondere gegenüber den Patienten) fordert:
· Was gestochen wurde, sehen
Patienten ja oft auch zuhause noch auf der Haut - und ob tief oder
oberflächlich gestochen wurde, sieht jeder i. d. R. durch bloßes Hinschauen
während der Behandlung. Genaue Abbildungen der Lage echter Akupunkturpunkte zum
Vergleichen findet man kostenlos im Internet (2). Dadurch wurden Probanden in
die Lage versetzt herauszufinden, ob sie an Akupunkturpunkten oder Nichtakupunkturpunkten
gestochen worden waren, woraus sich dann ihre Gruppenzugehörigkeit (Verum- oder
Shamakupunkturgruppe) ergab (=Entblindung). Die Tatsache, ob man an
Akupunkturpunkten oder Nichtakupunkturpunkten, oberflächlich oder
tief gestochen wurde, durfte den Probanden aber auf keinen Fall
Rückschlüsse auf ihre tatsächliche Gruppenzugehörigkeit erlauben
! In der Kontrollgruppe hätte man theoretisch
aber auch "richtige", aber nicht indizierte Akupunkturpunkte
(mögliches Studiendesign 2), Scheinakupunktur (3) (auch an "richtigen und
indizierten" Punkten (mögliches Studiendesign 3) nehmen können oder auch
an Nicht-Akupunkturpunkten tief stechen können (mögliches Studiendesign
4). Das gewählte Studiendesign war geheim zu halten, was aber nicht geschah.
· Entblindend waren aber auch bereits die
Informationen, die von Prof. Diener et al. im Deutschen Ärzteblatt (DÄ) bereits
im Juni 2002 auch und gerade dem Laienpublikum ohne besondere Zugangseinschränkung
im Internet frei zugänglich gemacht wurden und die potentiell entblindend
wirkten: "....In der
Sham-Akupunktur werden Nadeln oberflächlich an definierten Nichtakupunkturpunkten
gesetzt...." (Diener et al., 4). Das DÄ hatte schon damals eine
riesige Auflage von etwa 370.000 Exemplaren pro Woche, die Online-Ausgabe hatte
etwa 2.080.000 Pageimpressions pro Monat. Die Öffentlichkeit konnte auch
hierdurch wieder erfahren, daß „Studiendesign 1“ für die GERAC-Migräne-Studie
gewählt wurde und die Designs 2, 3 oder 4 für diese Studie nicht in Frage
kamen. Das ist gerade so, als hätte man bei einer großen
Medikamentenprüfung der Öffentlichkeit vorher mitgeteilt, daß die
Plazebotabletten im Gegensatz zu Verumtabletten nur klein und flach sind !
·
Das halte ich
für einen schwerwiegenden systematischen Fehler, den man auch
nicht durch Nachbefragen (sog. Entblindungsfrage)
heilen kann, denn niemand weiss, ob entblindete Patienten beim Nachfragen
wirklich noch unbeeinflußt antworten ! Den
Telefoninterviewern wurde laut (5) anscheinend keine Entblindungsfrage
gestellt. Devereaux et al. (2002) (6) schreiben:
"When unblinded, participants may introduce bias through use of other
effective interventions, differential reporting of symptoms, psychological or
biological effects of receiving a placebo (although recent studies show
conflicting evidence), or dropping out. .... "). Und genau das könnte bei der
GERAC-Migränestudie stattgefunden haben: Patienten wären durch mögliche
vorzeitige Entblindung in ihren Ansichten und Wertungen zur Therapie beeinflußt
worden oder könnten frustriert über die (Sham-) Plazebobehandlung weitere
Behandlungen hinzu genommen haben (KG, Autogenes
Training, Jacobson, NSAR, Fango, Massage, Gymnastik oder andere
Arztbehandlungen), ohne jemandem etwas zu verraten. Das könnte aber den
Behandlungserfolg in der Plazebogruppe verstärkt haben. Diese Patienten hätten
m. E. auch wenig Interesse die Entblindungsfrage wahrheitsgemäß zu beantworten,
sondern würden bei der Antwort eher mogeln. Das wäre auch eine Erklärung für
den von vielen Akupunkteuren vermißten bedeutsamen Unterschied in der
Wirksamkeit zwischen den beiden Akupunkturgruppen.
Auf einem Symposium in Bochum am Mittwoch, den 16.
November 2005, Bergmannsheil Kliniken, sollen nun die Ergebnisse dieser Migränestudie
von Prof. Diener erneut präsentiert werden, (siehe dazu auch http://www.gerac.de/ ). Vermutlich wird
dort die Kritik an der Methodik der GERAC-Akupunkturstudien (Entblindung!) mit
denselben Argumenten zurückgewiesen, die Herr Dr. Endres in der Zeitschrift
"Der Schmerz" (4, 2005, S. 331 f.) als Replik auf die
GERAC-Methodenkritik bzgl. der Gonarthrose-Studie äußerte. So war er dort u. a.
der Meinung, daß es u. a. deswegen richtig sei, Prüfpläne klinischer Studien
frühzeitig zu veröffentlichen, damit sich interessierte Patienten über Design
und Ziele einer Studie informieren können, um dann zu entscheiden, ob sie sich
um eine Studienteilnahme bewerben möchten. Außerdem seien im Prüfplan
Instrumente festgelegt worden, um die Entblindung der Patienten zu prüfen. Bei
Verletzung der im Prüfplan festgelegten Vorgaben, z. B. bzgl. Begleittherapien
oder auch Entblindung, würden diese Patienten in ihrer Therapiegruppe als
Therapieversager gewertet ("Intention to treat" Prinzips).
Diese Replik von Herrn Dr. Endres ist jedoch in
weiten Teilen völlig unzutreffend: So schreibt er auch, daß eine
wissenschaftliche Diskussion des Designs vor Vorliegen der Ergebnisse
stattfinden kann, wenn das Design (frühzeitig) veröffentlicht wird. Das ist
manchmal prinzipiell richtig, hier aber wurde auf vielfältige Weise auch die
Öffentlichkeit mit dem Design bekannt gemacht. Das war obsolet und schädlich,
führte zur Aufgabe der Verblindung.
Er meint,
Identifikationsschablonen ließen sich aus dem Internet nicht herstellen. Das
genaue Gegenteil ist der Fall, denn die Stichtechnik aller Verumpunkte
(tief) wurde genauso genannt (4) wie die der Minimalakupunktur (oberflächlich
an Nicht-Akupunkturpunkten). Patienten konnten so leicht herausfinden, in
welche Gruppe sie gehörten.
Ein Bias (bzgl. Entblindung)
kann aber nur dann durch die Anwendung des "Intention to treat"
Prinzips vermieden werden, wenn bei der Auswertung bekannt ist, wer denn
entblindet wurde. Diesen Proband kann man dann als Therapieversager werten und
ausschließen. Bei der Auswertung dieser und der anderen GERAC-Studien konnte
aber nicht sicher bekannt sein, wer denn entblindet wurde, weil man das auch
mit der Entblindungsfrage nicht sicher herausbekommen kann. Diese funktioniert
nur, wenn man weiss, daß die Probanden wahrheitsgemäß antworten oder raten und
keinerlei tatsächliche Kenntnisse von ihrer Gruppenzugehörigkeit hatten.
"Success of blinding is a fundamental
issue in many clinical trials. The
validity of a trial may be questioned if this important assumption is violated." .... Eine Entblindungsfrage, so fern Probanden und
Auswertern gestellt, kann wohl nicht mehr sinnvoll ausgewertet werden, wenn vor
Studienende der Prüfplan öffentlich wurde: "A fundamental assumption for this method
("Assessment of blinding in clinical trials") to be valid is that
participants who answer DK ("Don`t know") are truly uncertain about
their treatment assignment, not just giving a socially acceptable answer.
This assumption cannot be verified in the absence of any
supporting information from people who answer DK" (7). Alle Hervorhebungen
durch den Autor des vorliegenden Artikels.
“Although the definition of double blind varies, we
consider a trial to be double blind when the patient, investigators, and
outcome assessors are unaware of the patient's assigned treatment throughout
the conduct of the trial.2 Placebos are commonly used äs an inactive
treatment to achieve double blinding, especially when no existing effective
treatment is available….
Because
of the importance of the success of blinding, the Consolidated Standards for
Reporting of Trials (CONSORT) Group has explicitiy incorporated the issue. Section
l l(b) of the CONSORT Statement states that the
success of blinding is to be reported in the publication….
It is not sufficient that trials describe themselves
äs double blind. It is also important that the efficacy of the blinding is
actually assessed, and an assessment of the face validity of the double
blinding is needed. To assess the reporting and success of double blinding, we
chose a random sample of randomised, placebo controlled trials from leading
Journals in general medicine and psychiatry. Although we have focussed on
placebo controlled trials, the issues discussed also arise in double blind
trials with active controls….
Unsuccessful
double blinding results in a differentail bias of effect measrues….
We would like to see item ll(b)
of CONSÖRT revised to require the assessment of blinding for all double blind randomised
trials. Trialists have an ethical responsibility to justify the use of a
placebo for blinding purposes in their research protocol and informed consent
procedures. Thus, it seems reason-able to suggest that an assessment of the
success of blinding is necessary. If blinding is not assessed, we may delude
ourselves äs to exactly what information we gain frorn incorporaüng a placebo
comparison. The types of trials that will particularly benefit are trials with
subjective outcomes or outcomes reported by patients (for example, quality of
life Instruments), or trials where the side effects are well known. The lack of
successful blinding can bias observed estimates of effecL Although
this bias is differential, its direction may not be easily ascertained.
We believe that trialists need to report a minimum
set of information. This includes the counts of all patients allocated to each
treatment; the counts of patients who guess treatment assignment by the group
to which they were allocated; the counts of correct guesses and of those who
are undecided; the analytical methods and results used to assess success of
blinding; and the author's Interpretation of the efficacy of blinding and the
effect on study results.
Trialists and editors need to make a concerted effort
to incorporate, report, and publish information about the success of blinding
and its potential effect on study results. We need evidence before we can
assert that assay sensitivity exists in randomised, double blind, placebo
controlled trials….” (Turning a blind eye: the success of blinding reported in
a random sample of randomized, placebo controlled trials, Fergusson D et al,
BMJ, Vol. 328, 21 Febr 2004, p 432-4)
Verschiedene
Arbeiten setzen sich mit der Problematik von Blindstudien auseinander, bei
denen Probanden ihre zutreffende Gruppenzugehörigkeit etwas besser als rein
zufällig bestimmten. Meist waren Medikamente im Einsatz, deren Wirkung offenbar
in Einzelfällen eher "gespürt" werden konnte als beim Plazebo: z. B.
Appetithemmer oder orale, nasale oder transcutane Nikotinersatztherapie. Die
Arbeiten versuchen dann statistische Methoden anzuwenden, um diesen Effekt des
überzufällig guten Ratens zu korrigieren (8, 9). Wichtig ist aber, daß eben keinerlei vorzeitige
Veröffentlichungen des Designs in Print- oder Onlinemedien erfolgten: Es ging
nur um die statistische Korrektur des überzufällig guten Ratens, nicht um das
durch die Studienleitung den Probanden mitgeteilte WISSEN über die korrekte
Gruppenzugehörigkeit! Derart wissentlich entblindete Probanden,
die trotzdem weiter an der Studie teilnahmen, werden auf die Entblindungsfrage
nicht unbedingt wahrheitsgemäß geantwortet haben. Jegliche statistische
Methoden können also eine tatsächlich öffentlich entblindete Studie nie mehr
"heilen".
Hier handelt es sich vielleicht um einen unprofessionellen Umgang
mit der Verblindung. Rein zufällig könnte das Resultat den Geldgebern aber sehr
gut ins Konzept passen.
“….Fraud
Fraud is increasingly being
recognised as a problem in medical science. The complete fabrication of results
is probably a rare event, but the cleaning up of data and gift authorship are
common if not ubiquitous phenomena. The exclusion of cases from a trial on the
grounds that they are atypical biases the result. The problem of fraud is deep
seated. It arises out of a conflict of interest between the academic career of
the investigator and the impartiality required in good science. The likelihood
of fraud has grown in recent years due to the increasingly competitive nature
of academic life. When institutions and individuals are assessed on the number
of papers they publish, the pressure to produce positive and exciting results
is intense. There is little glory in the equally important task of
demonstrating negative results or providing the scientific evidence for what is
already presumed to be the case. Regulation and oversight are unlikely to have
a significant effect on fraud, but will make the task of performing research
more difficult. The only solution to fraud would be a cultural change, but it
is difficult to see how this could be achieved.
Blinding
A double-blind, placebo-controlled
trial is only as good as its blinding. The random allocation of pantients into
blinded groups is the apparent central strength allows the unbiased assessment
of two Comparative statistics, such as t-tests, are all presumptive on the integrity
of this process. If patients or the investigators become unblinded, then biases
will appear and the results become unreliable. This can occur all too
easily through the side-effects of active agents. …” (Unterstreichungen durch
Wettig)
Ellis SJ, Adams RF "The cult of
the double-blind placebo-controlled trial", The British journal of
clinical practice, Vol. 51 (1), p: 36-9"
Warum könnte vielleicht eine
bedeutsame, große und sehr teure Blindstudie durch massive, weitgestreute und
vorzeitige Veröffentlichungen durch potentielle Entblindung gefährdet werden
(wobei ich hier im Moment keinen Vorsatz erkennen kann)
? Das betrifft übrigens auch die GERAC-Gonarthrose-Studie (19,
21-31) und Teile der ART-Studie (32-26). Geldgeber waren im Falle der GERAC-Migräne-Studie
die meisten Primärkassen (AOK-BV, BKK-BV, IKK-BV, Seekasse, Knappschaft u.a.).
Alle Kassen haben ein sehr großes Interesse daran, einen Deckel auf die
bisher unbudgetierten Akupunkturausgaben zu machen, diese in den EBM zu
integrieren und sie dessen Spar- und Budgetdiktat zu unterwerfen. Eine Studie,
die zu folgendem Ergebnis käme, wäre sicher nicht ungelegen:
Dieses Resultat dieser und
der anderen GERAC-Studien ist mittlerweile bekannt und auch in
Publikumszeitungen nachzulesen: Akupunktur wirkt gut, Plazeboakupunktur wirkt
mehr oder weniger genauso gut. Stechen, egal wohin! „....Ärzte können
sich die teuren Akupunkturkurse sparen. Sie können die Nadeln einfach
irgendwohin stechen“, kommentierte Prof. Dr. Diener das Ergebnis....."
(10-18)
Warum also sollte eine
Krankenkasse zukünftig eine Akupunkturleistung im EBM nicht wesentlich
niedriger bewerten als bisher, wenn Akupunktur angeblich doch jede Ärztin,
jeder Arzt, aus dem Stand heraus kann, ohne jede Zusatzausbildung?
Bei der in
Kürze zu erwartenden GBA-Entscheidung für die Aufnahme der Akupunktur in den
deutschen EBM2000plus und der nachfolgenden Punktebewertung dieser neuen
Leistung durch den Bewertungsausschuß werden solche Ergebnisse wohl dazu
führen, daß die Punktzahl sehr niedrig angesetzt wird mit dem Argument, daß es
mehr oder weniger egal ist, wohin und wie man sticht, dies also auch keiner
besonderen Kenntnisse bedürfe, mithin billig von jeder Ärztin, jedem Arzt,
durchgeführt werden könnte. Ich erwarte nun leider eine Punktzahleinstufung für
die GKV-Patienten wie bei der Punktion (EBM 02340) mit 125 Punkten (6 Euro bei
einem Punktwert von 4,8 Cent) oder wie bei einer Infusion (02100, 155 Punkte,
7,44 Euro) oder wie bei einer kleinen OP (02300, 155 Punkte, 7,44 Euro). Der
seriösen Akupunktur würde dadurch gerade durch diese
GERAC-"Blind"-Studien enormer Schaden entstehen können. Die Kassen
würden dann aber viel Geld sparen. Absicht ? Jedenfalls äußert sich Herr Prof.
Dr. Egger, der seitens des AOK-BV federführend an der GERAC-Studie beteiligt
ist laut http://www.lexonline.info/lexonline2/live/professional/index_0.php?lid=90&productActiveArtnr=293129&xid=78863&link=ar
bereits jetzt wie folgt: (Zusammenfassung von "Akupunktur als
Kassenleistung?" von Bernhard Egger, original erschienen in: G+G
Gesundheit und Gesellschaft, herausgegeben von AOK-Bundesverband, KomPart GmbH:
Remagen 10/2005 Heft 10, 18 - 19.)
„….Zwar
konnten nicht alle Fragen geklärt werden, aber eins ist klar, die Akupunktur
nach den Regeln der traditionellen chinesischen Medizin ist nicht wesentlich
wirksamer als andere Akupunkturverfahren. Beim Vergleich zeigte sich, dass die
Akupunktur bei chronischen Rücken- und Knieschmerzen der hierzulande üblichen
Standardtherapie deutlich überlegen ist. In der Kopfschmerztherapie ist die
Akupunktur der medikamentösen Behandlung ebenbürtig.
Der Autor
wirft einen kritischen Blick auf die heute übliche Schmerztherapie und stellt
einige Wissenslücken fest. Nach seiner Auffassung kann die Akupunktur ein
Baustein in einem schmerztherapeutischen Gesamtkonzept sein. Dabei sollte
die Vergütung so bemessen sein, dass Fehlanreize vermieden werden. Die
Modellversuche hätten gezeigt, dass methodisch hochwertige Studien bei
alternativmedizinischen Verfahren möglich sind…“ (Unterstreichungen durch
Wettig).
Dr. med.
Dieter Wettig
Facharzt für Allgemeinmedizin www.wettig.de d@wettig.de
Literatur
: https://www.angelfire.com/sc/naturheilverfahren/cgi-bin/KOPFLIT.htm