Zum Leserbrief von Dr. Alfred Köth und der Entgegnung von Frau Dagmar Kumbier, PDP 2009; 8: 108-9.

Dr. Köth plädiert dafür, daß jeder Therapeut sich von den genannten vier therapeutischen Strömungen beeinflussen lässt und sich dann nicht etwa einer Richtung zu- oder unterordnet, sondern seinen eigenen integrativen Weg findet. Die Identität eines Psychotherapeuten sollte die eines Psychotherapeuten sein und nicht auf der Ebene einer Methode oder eines Verfahrens gesucht werden. Frau Kumbier hält dem entgegen, daß sie die psychodynamischen Gesichtspunkte nicht als Methodenaspekt sehe, den man von Fall zu Fall integriert oder auch nicht, sondern als Grundlage, auf der Entscheidungen für oder gegen eine bestimmte Arbeitsweise getroffen und ausgewertet werden.

Hier wird exemplarisch das zentrale Problem der Psychodynamischen oder analytischen Psychotherapie erkennbar: Es gibt kaum gesicherte Erkenntnisse im Sinne von Evidenz, wie sie sonst in der Heilkunde wie selbstverständlich gefordert und auch immer mehr beigebracht wird. Natürlich gibt es dort vergleichende Untersuchungen über die Wirkungen verschiedener Methoden bei der Behandlung von, sagen wir, Kopfschmerzen: Akupunktur, Schmerzmittel, Entspannungsverfahren, Psychopharmaka. Selbst innerhalb der einzelnen Methoden gibt es vergleichende Untersuchungen, wie zum Beispiel bei Psychopharmaka: Antidepressiva, Sedativa oder Neuroleptika wurden alle bereits gegeneinander beim Kopfschmerz ausreichend getestet. Dann hat man valide Grundlagen, um generelle Entscheidungen über Methoden und auch Entscheidungen im Einzellfall treffen zu können. Aus den Beiträgen von Köth und Kumbier wird deutlich, daß die Psychodynamische Psychotherapie wissenschaftliche, also nachprüfbare, Evidenz regelmäßig nicht bieten kann. Kumbier schlägt zwar vor, das "ob", "wann" und "wie" ebenso wie die Wirkung des Einsatzes unterschiedlicher Methoden psychodynamisch zu reflektieren. Aber auch bei einer solchen Reflektion bleibt es dann natürlich nur bei einer philosophischen Überlegung, der eine kann dann jenen und die andere einen beliebigen anderen Standpunkt einnehmen. Endlosdiskussionen ohne greifbare Ergebnisse sind dann, wie so oft in der PDP, vorprogrammiert. Als Beispiel kann hier der Artikel von Klaus Schlagmann im gleichen Heft, PDP 2009; 8: 67-77, dienen: Er rollt den Kriminalfall des Königs Ödipus neu auf, rehabilitiert König Laios und stellt fest: "Iokaste hat gelogen". Nebenbei erfährt man, daß beim "Inzest" von Freuds Mutter Amalia mit dem Stiefsohn Philipp wohl Freuds jüngere Schwester Anna gezeugt wurde und Freud selbst als Partnerersatz für den massiv entwerteten Vater Jakob herhalten musste und daß Freud diese Konflikte zwar in Träumen umkreist, jedoch nie wirklich aufgelöst habe (S. 70). Dummerweise habe sich Freud nämlich von seinem skurrilen Freund Wilhelm Fließ beeinflussen lassen und sich deshalb vom Modell Josef Breuers ("Aussprache von real erlebter Gewalt") ab- und der Gegenrichtung (Betonung der Triebe) zugewandt. Dieser Perspektivenwechsel vom Trauma zum Trieb sei belohnt worden: Freud kann an der Verdrängung seines eigenen Familiendramas festhalten.

Und so geht das endlos weiter, nicht nur in dem vorliegenden Juni-Heft der PDP nachzulesen, sondern in allen anderen Heften ebenso: Unaufhaltsam werden teils uralte, teils neuere Quellen zitiert, teilweise um-, ja ins Gegenteil, gedeutet. Auf eine spekulative Theorie wird eine spekulative Antwort gegeben und - wie in der Kirche - werden endlos Glaubensbekenntnisse aneinadergereiht und ausgetauscht. Dabei darf dann offenbar so gut wie alles geglaubt und verbreitet werden, auch wenn Patienten ganz offensichtlich geschädigt werden: Kernberg leite aus Freuds Theorie ab, daß eine Grundschülerin, die von ihrem Vater sexuell mißbraucht wurde, diese Situation in "typischer Weise .... als einen sexuell erregenden Triumph über ihre Mutter" erlebe, und damit quasi selbst den Grundstein lege für ihre depressive Entwicklung. Aufgabe ihrer Psychoanalyse sei es, ihr zu vermitteln, sie müsse sich "in dem Sieg über die ödipale Mutter zurechtfinden und ihre Schuld tolerieren" (S. 73). Kernberg habe diese Fallanalyse 1997 bei den Psychotherapiewochen in Lindau vorgetragen und auf einer Tonaufnahme (Kernberg 1997) höre man, wie er das Publikum mit seiner Darstellung zu Beifall hinreißt und sogar zum Lachen bringe. Zwei Jahre später seien diese "Lindauer Thesen" publiziert worden (Kernberg 1999) (S. 73). Die Fachwelt sei über diese "Lindauer Thesen" geteilter Meinung, schreibt Schlagmann weiter auf S. 74.

Als Allgemeinarzt, der viele psychisch und psychosomatisch kranke Patienten betreut ("Psychosomatische Grundversorgung") sträuben sich mir die Haare. Hier wird nicht nur auf dem Boden einer wackeligen und hochspekulativen Theorie akademisch diskutiert, nein, hier wird ja auch auf diesem Boden behandelt und - das darf man annehmen - Schaden erzeugt. Die Psychodynamische Psychotherapie wird in Deutschland von einem erheblichen Teil der 27 Tausend approbierten Psychologen und 23 Tausend psychotherapeutisch weitergebildeten Ärzte angewandt (Zahlen zitiert nach Loew, ebenda, S. 57). Mit welchem therapeutischem Nutzen diese das tun, weiss man nicht genau. Allerdings wird immer mehr klar, daß sie wohl auch Schaden erzeugen, Kernbergs Thesen scheinen da nur die Spitze des Eisbergs zu sein. Zur ungeklärten Nutzen-Schaden-Bilanz der Psychodynamischen Psychotherapie kommen deren immense Kosten hinzu, die ja erst mal erarbeitet werden müssen, bevor sie an die Therapeuten als Honorar fließen. Die Kosten sind erheblich: Die 250 Universitätsprofessuren in den "P"-Fächern verschlingen etwa 60 Millionen Euro im Jahr, alleine in Deutschland (Ebenda, S. 57). 4 Milliarden koste die stationäre Psychiatrie, 0,5 Milliarden die stationäre Reha, 0,2 Milliarden die psychosomatischen Krankenhausbehandlungen, 0,5 Milliarden die ambulante psychiatrische Behandlung und etwa 1,5 Milliarden die die Richtlinienpsychotherapie, zusammen etwa 6 Milliarden Euro (S. 57).

Bei einem durchschnittlichen Stundenlohn von 10-15 Euro müssen die Arbeitnehmer alleine in Deutschland dafür 400-600 Millionen Stunden arbeiten. Nehmen wir an, daß von den oben genannten Kosten nur 10% von der Psychodynamischen Psychotherapie veranlasst werden, wird schnell klar, daß 40-60 Millionen Stunden Arbeit dafür aufgebracht werden müssen. Arbeitszeit, in denen Menschen durch Hetze, Stress und Mobbing krank und depressiv werden, durch Arbeits- oder Wegeunfälle verletzt oder getötet erden. Zeit, in denen sie oft schlechte Luft atmen und oft kein Sonnenlicht abbekommen, mit anderen Worten: Krank werden und verschleißen. Dazu kommt die Zeit, die sie beim Psychodynamischen Psychotherapeuten verbringen und auf dem Weg von und zu ihm oder ihr. Bei 1,5 Milliarden Euro für die Richtlinienpsychotherapie und einem Honorarsatz von 70 Euro pro Stunde, darf man von 20 Millionen Therapiestunden im Jahr in Deutschland ausgehen, davon vielleicht 25% psychodynamische oder tiefenpsychologisch orientiert, mithin 5 Millionen Stunden für Therapeut und Patient, also mindestens 10 Millionen Stunden, die nicht für die Familie, im Garten, bei Sport oder Freizeit verbracht werden können. Hinzu kommen die Fortbildungs- und Weiterbildungsstunden der Therapeutinnen für die Psychodynamische Therapie.

Nun wird klar, welch immensen Schaden die PDP alleine durch ihre Honorarkosten und ihren Zeitaufwand verursacht. Dazu kommt der Schaden, der durch die praktische Anwendung ihrer Theorien entsteht. Dem steht natürlich auch ein Nutzen gegenüber, aber - wie ich meine - er ist nicht höher als der Schaden.

Fazit: Bei der PDP-Methode sollte zunächst das Schaden-Nutzen-Verhältnis wissenschaftlich geklärt werden, bevor neue Kassenzulassungen und Therapiebewilligungen ausgesprochen werden. Patienten haben ein Recht darauf, über die Vor- und Nachteile der PDP (ähnlich einem "Beipackzettel") vor Beginn einer Behandlung umfassend aufgeklärt zu werden. Mir ist kein einziger Fall bekannt, wo das geschah, und ich bin seit 1981 im Beruf. Das ist nicht nur unredlich und ungesetzlich, sondern auch ein weiterer Schaden, der Patienten hier durch Psychodynamische Therapeuten zugefügt wird.