AMOKLAUF IN ERFURT
Freerk Huisken analysiert
den Erfurter Amoklauf als ein – aus dem Ruder gelaufenes – Produkt
schulischer Lernerfolge und deckt die zynischen Seiten der durch ihn
ausgelösten, scheinbar tief greifenden Kritik am deutschen Schulsystem
auf. Nach dem Amoklauf von
Erfurt, diesem »beispiellosen Verbrechen«, halten sich
merkwürdigerweise das Lamento über die »Sinnlosigkeit« und »Unfassbarkeit«
der Tat und die Debatte über Gründe, die einen Robert S. zu seinem
Massaker veranlasst haben können, die Waage.
Offenbar versteht ein jeder sofort: Robert S. war verbittert darüber, als
vom Abitur ausgeschlossen und als Schulversager bezeichnet worden zu sein.
Es fehlt in diesem Zusammenhang auch nicht an offenherzigen Auskünften
über die Schule selbst. Aber dass man auf das Scheitern an der schulischen
Anforderung so reagiert, das muss nicht sein. In den USA mag so etwas an
der Tagesordnung sein, aber nicht in unseren zivilisierten Breiten. Bei
uns wird der Mensch doch nicht mit der Erlaubnis, zur Pumpgun zu greifen,
sondern mit »Frustrationstoleranz« ausgerüstet. Und an der wird es Robert
S. wohl gefehlt haben.
Was auf den ersten Blick den Eindruck einer gänzlich ungewöhnlichen, weil
das zentrale Prinzip des Bildungswesens, nämlich ihren Sortierungsauftrag
treffenden Schulkritik vermittelte, erweist sich also als das glatte
Gegenteil. An pädagogischer Selbstkritik bleibt der Befund: Wir haben es
nicht geschafft, dass dieser Mensch sich mit dem Urteil, das wir über ihn
gefällt haben, abfindet, und zwar ohne die (Schul-)Ordnung zu stören oder
gar den Rächer zu spielen. So hat Robert S. die erlernten Techniken der
geistigen Anpassung gegen seine Lehrer gewandt, anstatt mit ihnen – wie es
sich gehört – die Lehrerschaft und die Schule zu entschuldigen.
Der Autor
Freerk Huisken ist Hochschullehrer an der Uni Bremen und dort in der
Lehrerbildung tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Kritik des
Bildungswesens und der Erziehungswissenschaften, »Jugendgewalt« und
Rechtsextremismus.
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