Mit ãDas Meer der IllusionenÒ beendet der kubanische Schriftsteller Leonardo Padura sein Havanna-Quartett
Von
REINHARD HELLING
Es
war unvermeidlich: Am Ende wŸrde Mario Conde auf kubanisch ãIch habe fertigÒ
sagen, und tatsŠchlich schmei§t er in ãDas Meer der IllusionenÒ dem letzten
Band von Leonardo Paduras Havanna-Quartett, seinen Job als Ermittler der Kripo
nach zehn Jahren hin. Schon lange wollte El Conde aus der Routine ausbrechen
und seinen Traum als Schriftsteller ausleben. Doch irgendwie hatte er das
bisher nicht geschafft. Wahrscheinlich hŠtte er diesen Schritt sogar nie
gewagt, wenn nicht im Oktober 1989 zweierlei zusammengekommen wŠren. Erstens
steuerte der Hurikan FŽlix mit 200 Sachen auf die Karibikinsel zu, und zweitens
war gerade sein verehrter Chef, Mayor Antonio Rangel, dem er nie ein
Entlassungsgesuch vorzulegen gewagt hŠtte, vorzeitig in Pension geschickt
worden. Ein besserer Moment, um reinen Tisch zu machen, wŸrde sich so bald
nicht ergeben.
Als
Mario Conde dem neuen Coronel sein Anliegen vortrŠgt, will der ihn nur unter
der Bedingung ziehen lassen, dass er blitzschnell den rŠtselhaften Tod von
Miguel Forcade aufklŠrt, der zu politischen Verwicklungen mit den USA fŸhren
kšnnte. In den sechziger Jahren war Miguel Forcade stellvertretender Leiter der
Behšrde fŸr Enteignung, hatte sich 1978 nach einen Auslandseinsatz nach Amerika
abgesetzt und war jetzt nach Havanna zurŸckgekehrt, um von seinem todkranken
Vater Abschied zu nehmen. Sein gewaltsamer Tod deutet auf einen Racheakt hin.
Sogar seiner MŠnnlichkeit wurde er beraubt.
Auch
in diesem vierten Mario-Conde-Krimi (nach ãEin perfektes LebenÒ, ãHandel der
GefŸhleÒ und ãLabyrinth der MaskenÒ, alle Unionsverlag) folgen die Ÿblichen
kriminalpolizeilichen Untersuchungen und Befragungen, die Ð wie stets bei
Padura Ð fast nebensŠchlich sind. Ein gefŠlschter Matisse und die Suche nach einer
goldenen Buddha-Statue geben der Story die nštige Farbigkeit Ð aus der Ferne
grŸ§t Dashiell Hammetts ãMaltester FalkeÒ. Im Vordergrund aber steht die
Befindlichkeit von El Conde, der sich kurz vor seinem 36. Geburtstag einem mit
Zigaretten, Kaffee und Rum aufgepuschten Weltschmerz hingibt. Erinnerungen an
die verlorenen Illusionen seiner Jugend gepaart mit der Verzweifelung Ÿber eine
fehlende Frau in seinem Leben geben der Geschichte den bewŠhrten
melancholischen Anstrich.
Leonardo
Padura, ein Meister des Einstiegs, des Dialogs und der Stimmung, hat mit dem
Havanna-Quartett ein Meisterwerk der Kriminalliteratur vorgelegt Ð und weit
mehr als das. Es ist eine verzweifelte LiebeserklŠrung an die verfallende
kubanische Hauptstadt, ein nie zynischer aber immer gerechter Blick auf die
fatalen Folgen des realsozialistischen Projekts.
Von
Band zu Band, durch die vier Jahreszeiten hat der 50-jŠhrige Autor und
langjŠhrige Journalist uns mit den bewŠhrten Zutaten versorgt, ohne auf
†berraschungen zu verzichten. NatŸrlich ist auch im letzten Band sein Freund,
der dŸnne Carlos im Rollstuhl dabei, wieder zaubert dessen Mutter Josefine
trotz Nahrungsmittelmangel kšstliche Gerichte auf den Tisch. Auch Sargento
Manuel Palacios, sein langjŠhriger Kollege, braust wieder mit quietschenden
Reifen durch Havanna und schraubt die Antenne ab, wenn er den Wagen abstellt.
Kurz
gesagt: Padura hat uns sŸchtig gemacht. Dankbar blicken wir auf die vier Krimis
zurŸck und hoffen, dass er nicht auf die Idee kommt, es seinem mehrfach zitierten
und im letzten Band als Motto-Geber fungierenden Vorbild J. D. Salinger
gleichzumachen und in Schweigen zu verfallen.
Im
Roman setzt sich El Conde jedenfalls an seinem ersten Tag als freier Mann an
seine altersschwache Underwood und beginnt eine Geschichte mit dem Titel ãEin
perfektes LebenÒ zu schreiben.
Leonardo
Padura: ãDas Meer der IllusionenÒ, aus dem kubanischen
Spanisch von Hans-Joachim Hartstein, Unionsverlag,
285 Seiten, 19,90 Euro
© 2005 Reinhard Helling