Vor 50 Jahren erschien
J.D. Salingers Roman ãThe Catcher in the RyeÒ
Von
REINHARD HELLING
Es
wird keine Party geben, keine Sonderausgabe, keine Lesung; nicht einmal eine
Pressemitteilung setzt Little, Brown and Company auf. Dabei gŠbe es allen
Anlass, das Ereignis zu feiern: Vor 50 Jahren, am 16. Juli 1951, brachte der
Bostoner Verlag zum Preis von drei Dollar ãThe Catcher in the RyeÒ heraus, den
ersten und einzigen Roman von J. D. Salinger. Vorne drauf ein gezeichnetes
feuerrotes Karussellpferd, auf der RŸckseite ein PortrŠtfoto des Autors mit
gegeltem Haar, aufgenommen von Lotte Jacobi
FŸr
die gedŠmpfte Stimmung zum Festtag ist niemand anders verantwortlich als der
Verfasser des Romans selbst, der nicht gefeiert, geschweige denn interviewt oder
fotografiert werden will. Seit 1965, als er mit ãHapworth 16,
1924Ò seine letzte Geschichte veršffentlichte, hŠlt der heute 82-JŠhrige
den RŸckzug ins Private konsequent durch und die FrŸchte seines Schreibens
unter Verschluss Ð farblich sortiert nach druckreifen Manuskripten (rot), noch
zu bearbeitenden Texten (grŸn) und Abfall (blau). Er lebt verborgen hinter
einem Zaun in seinem Waldhaus bei Cornish, New Hampshire Ð betreut von seiner
dritten Frau, Colleen OÕNeill. Um den alten Herrn nicht zu verŠrgern, der bei
Aufdringlichkeiten aller Art seine AnwŠlte einschaltet, beantworten sein Verlag
ebenso wie die New Yorker Literaturagentur Harold Ober Anfragen zum JubilŠum
Šu§erst wortkarg: ãNo commentÒ. Salinger dŸrfte ohnehin noch gereizt genug
sein, hatte doch erst im vergangenen Jahr seine Tochter Margaret ãPeggyÒ Ann,
45, in dem Buch ãDream CatcherÒ Ÿber ihre Kindheit und ihren berŸhmten Vater
detailreich Auskunft gegeben, und zwei Jahre zuvor war es Joyce Maynard, 47,
die in ãAt Home in the WorldÒ ausgeplaudert hatte, wie es war, Salingers
Geliebte zu sein.
Jerry,
wie seine Freunde Jerome David damals riefen, hatte schon als 32-JŠhriger seine
eigene Vorstellung von PR: Den Verlag wies er an, keine Rezensionsexemplare zu
verschicken. Da dies schon geschehen war, verbat er sich wenigstens die
Zusendung von Kritiken. Auch musste Michael Mitchell, der den Umschlag
entworfen hatte, ab der dritten Auflage das Foto auf der RŸckseite entfernen.
Salinger wollte einfach keinen Rummel um seine Person. Doch die Jungs von der
Presse, die ihn seit seinem DebŸt 1940 mit ãThe Young FolksÒ in der Zeitschrift
ãStoryÒ als Autor von zwei Dutzend Kurzgeschichten, viele davon in ãThe New
YorkerÒ, beobachtet hatten, schlugen sofort zu.
Harrison
Smith war der erste: Er hatte seine Besprechung sogar schon zwei Tage vor
Erscheinen des Romans im Blatt Ð in der ãSaturday Review of LiteratureÒ. In
vŠterlichem Ton lobte der 63-jŠhrige Kritiker den jungen New Yorker fŸr die ãAuthentizitŠt
der SpracheÒ in seinem DebŸtroman. Tags drauf folgten die Sonntagsbeilagen der ãChicago
TribuneÒ und der ãNew York TimesÒ, und am Montag kam Lob von den Magazinen ãNewsweekÒ
und ãTimeÒ. Das war wohl zu viel des Guten fŸr den Publicity-scheuen Jerry: Er
floh fŸr einige Wochen nach England.
Bei
aller Begeisterung fŸr die Geschichte des geschassten Pency-Prep-SchŸlers
Holden Caulfield, der angewidert von der Verlogenheit der Welt drei Tage durchs
vorweihnachtlichte New York irrt, dŸrfte keiner der Rezensenten geahnt haben,
dass dieses Buch schon bald ein Klassiker der amerikanischen
Nachkriegsliteratur werden wŸrde. Mehr noch: ein Kultbuch. ãThe Catcher in the
RyeÒ ist bis heute ein Weltbestseller mit zweistelliger Millionenauflage, in
Island ebenso wie in China als "Bibel der Jugend" gelesen, bewundert
von William Faulkner und Ernest Hemingway, von Bill Gates und Madonna;
missbraucht von Mark David Chapman, der den ãCatcherÒ bei sich trug, als er am
8. Dezember 1980 John Lennon erschoss und sich vor Gericht auf Holden berief;
geehrt durch den italienischen Literaturstar Alessandro Baricco, der in Turin
die ãScuola HoldenÒ ins Leben rief und kŸrzlich den Buchladen ãHolden LibriÒ
eršffnete, in dem nur 28 BŸcher verkauft werden Ð jedes Einzelne vorgestellt
von einem bekannten Autor oder Kritiker. Zig Schriftsteller, von Harold Brodkey
bis Terry McMillan, haben bekannt, von Salinger gelernt zu haben, zig andere
haben eher heimlich Holdens Art zu reden kopiert, diese Mischung aus harter
Schale und weichem Kern. Im Internet wimmelt es von zweifelhaften
Verehrungsbekundungen; serišs und voller Fakten dagegen Stephen Fosketts
ehemalige ãBananafishÒ-Site, die jetzt unter der Adresse www.salinger.org erreichbar ist.
Die
schšnste literarische WŸrdigung aber erfuhr ãThe Catcher in the RyeÒ Ð der
Titel geht auf ein Gedicht Robert BurnsÕ zurŸck Ð durch Ulrich Plenzdorf,
der in ãDie neuen Leiden des jungen W.Ò Edgar Wibeau sagen lŠsst: ãIch kann
euch nur raten, ihn zu lesen, wenn ihr ihn irgendwo aufrei§en kšnnt. Rei§t euch
das Ding unter den Nagel, wenn ihr es bei irgendwem stehen seht, und gebt es
nicht wieder her!Ò Das war nicht nur in der DDR schwierig, sondern manchmal
auch in den USA, wo der Roman wegen der stŠndigen Flucherei seines Helden immer
mal wieder auf dem Index landete.
Der
internationale Siegeszug des "Catcher" kam schnell in Gang: Noch 1951
bekamen die Portugiesen ãUma agulha no palheiroÒ, ein Jahr darauf die Norweger ãHver
tar sin-- sa far vi andre ingenÒ; 1953 gingen in Kopenhagen "Forbandede
ungdom" und in Stockholm ãRŠddaren i NšdenÒ in Druck. Selbst in Japan, wo
Salinger spŠter besonders viele Fans fand Ð zuvšrderst in dem †bersetzer und
Schriftsteller Haruki Murakami, dessen jŸngst auf Deutsch publizierter Roman ãNaokos
LŠchelnÒ eine nette Hommage an den ãCatcherÒ enthŠlt Ð lag 1952 der erste
Salinger-Text in †bersetzungen vor; die Japaner sind auch die einzigen, die
eine †bersetzung von Salingers letzter Wortmeldung ãHapworth 16,
1924Ò haben und unter dem Titel ãThe Inverted ForestÒ sogar fŸnf frŸhe
ErzŠhlungen, die in den USA nur als Raubdruck kursieren.
Bis
das Buch als ãDer FŠnger im RoggenÒ in Deutschland ankam, vergingen dagegen elf
Jahre.
Zwar
hatte Irene Muehlon den Roman 1954 fŸr den ZŸrcher Diana Verlag Ÿbersetzt, doch
ãDer Mann im RoggenÒ, wie die Schweizer das Buch tauften, lag schwerer als Blei
im Regal. Neben ãSteppenwolfÒ-Autor Hermann Hesse, der in der ãWeltwocheÒ von
Salingers Held als einem Jungen ãvoll Sehnsucht nach dem Guten und Schšnen,
voll AnstŠndigkeit und GŸteÒ geschwŠrmt und dem Autor gedankt hat, dass er ihn ãvon
der Befremdung zum Verstehen, vom Ekel zur LiebeÒ gefŸhrt habe, gab es nur eine
weitere Rezension: "BŸcherei und Bildung", der Anzeiger fŸr
Bibliotheken, bemŠngelte allerdings die †bersetzung: ãDer amerikanische
High-School-Slang verliert im Deutschen viel von seiner ungeschminkten
Frechheit und Treffsicherheit.Ò
Als
mit dem Erscheinen der ErzŠhlungen ãFranny and ZooeyÒ im Herbst 1961 in Amerika
der Kult um Salinger erst so richtig losbrach ? mit Wortmeldungen so
prominenter Autoren wie Mary McCarthy, John Updike und Joan Didion, einer
Coverstory in "Time" und einem mehrseitigen PortrŠt in
"Life", in dem die ersten Paparazzi-Fotos von Salinger auftauchten,
der an seinem 34. Geburtstag nach Cornish gezogen war ?, erinnerte man sich bei
Kiepenheuer & Witsch (KiWi) an den Flop von Salingers erstem Buch. Der zehn
Jahre zuvor gegrŸndete Kšlner Verlag kaufte den Schweizern 3000 liegen
gebliebene Exemplare vom "Mann im Roggen" ab. Und beauftragte
Heinrich Bšll, Irene Muehlons †bersetzung durchzusehen. Der spŠtere
LiteraturnobelpreistrŠger korrigierte hier ein wenig, ergŠnzte dort eine
Stelle, die Muehlon weggelassen hatte; ganze Passagen aber Ÿbernahm er
wšrtlich. 1962, zwei Jahre nach dem russischen "Catcher", erschien
dann "Der FŠnger im Roggen" Ð in der bis heute gehandelten Fassung,
die den Namen der ErstŸbersetzerin verschweigt. Dank der Besprechungen, die nun
auch in Deutschland erschienen Ð im "Spiegel" ("Mann im
Wald"), in der "Deutschen Zeitung" ("Auf der Suche nach der
ewigen Jugend") ? wurde der Roman im zweiten Anlauf doch noch ein Erfolg,
den Rowohlt seit 1966 im Taschenbuch fortsetzt: mit dem lilagerahmten rororo
851. Nicht zuletzt wohl auch wegen des guten Namens von Heinrich Bšll.
Doch
dieser deutsche Text hat die QualitŠt einer Kopie einer Kopie einer Kopie.
Muehlons "Mann im Roggen" basiert nŠmlich auf dem im August 1951 bei
Hamish Hamilton in London erschienenen "Catcher". Der aber
unterscheidet sich gravierend vom US-Original, worauf schon 1984 der japanische
†bersetzer Takashi Nozaki anlŠsslich einer Neuauflage fŸr Hakusui U Books
aufmerksam machte. Den ganzen Umfang aber brachte erst 1995 eine Penguin-Neuedition
ans Licht, fŸr die Lektor Tim Bates 800 €nderungen vornehmen musste, um den
Originaltext herzustellen. Deshalb ist jeder deutsche "FŠnger" Ð von
KiWi Ÿber Volk & Welt und Reclam Leipzig bis Rowohlt Ð durch diverse
KŸrzungen, zensierte FlŸche, verdrehte Namen und nicht transportierte
Kursivsetzungen verfŠlscht. So regt sich Holden im Original Ÿber den Graffito
"Fuck you" auf, den er in der Schule seiner Schwester Phoebe sieht.
Hamish Hamilton hat das four-letter-word in der englische Ausgabe durch "Ð
you" ersetzt. Irene Muehlon strich gleich beide Worte und gab den
Mauerspruch mit "..." wieder. Das war Bšll wohl doch zu viel des
Eingriffs, bei ihm steht: "dich..." Wei§ der Teufel, was das hei§en
soll und wofŸr die Auslassungspunkte hinter "dich" stehen!
Burkhart
Kroeber, renommierter †bersetzer von Umberto Eco, bestŠtigt die EinwŠnde gegen
Bšlls Bearbeitung. Als er 1996 fŸr Roberto Cotroneos Buch "Wenn ein Kind
an einem Sommermorgen" Zitate aus dem "Catcher" einbauen musste,
stellte er fest, dass sich Bšlls Text "oft als erstaunlich ungenau oder
gar lŸckenhaft erwies". Deshalb habe er alle Zitate "am Original
ŸberprŸft und, soweit nštig, neu Ÿbersetzt". Ihm hŠtte auch ein Blick in
"Il giovane Holden" nichts genŸtzt, die italienischen Einaudi-Fassung
von Adriana Motti, da sie wie die deutsche auf dem englischen
"Catcher" beruht. Dem "FŠnger im Roggen" haftet noch ein
ganz augenfŠlliger Makel an: Auf dem Weg von New York nach London ging dem Buch
die Widmung verloren, die Salinger dem "Catcher" vorangestellt hatte Ð
"To My Mother".
Reinhold
Neven Du Mont, 64, der kŸrzlich der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck weitere
Anteile an Kiepenheuer & Witsch und damit die Mehrheit an dem Verlag fŸr
2002 in Aussicht gestellt hat, nannte 1982, als das "Bšrsenblatt des
Deutschen Buchhandels" nach den BŸchern fragte, die "das Jahrhundert
Ÿberdauern werden", Salingers Roman. Und gab eine interessante
Charakterisierung: "Seine Sprache ist nachlŠssig, voller Wiederholungen,
gespickt mit Slang-AusdrŸcken; sein Stil ist kunstlos, die Handlung ohne
besondere Pointen." Gerade an den Wiederholungen scheint sich Heinrich
Bšll gestšrt zu haben und lie§ sie manchmal einfach weg. Dabei hat er, 1967 von
Marcel Reich-Ranicki befragt, warum er einen betrŠchtlichen Teil seiner Arbeitszeit
in †bersetzungen aus dem Englischen investiere, geantwortet: "Vor allem
aus Freude am Material Sprache. Ich suche so gern Ausdruck und AusdrŸcke.
Au§erdem ist es schšn, mit meiner Frau zusammen zu arbeiten."
BŠrbel
Flad, Lektorin fŸr auslŠndische Literatur bei KiWi, die vor 40 Jahren als
Studentin die von Bšll in den "Mann im Roggen" und auf Zettel
gekritzelten €nderungen auf einer Reiseschreibmaschine abgetippt hat, rŠumt
ein, dass Bšlls †bersetzung nicht "das Gelbe vom Ei" sei, macht dafŸr
aber den Schweizer Text verantwortlich, der "prŸde, prŸde, prŸde"
war. Trotzdem will KiWi nicht an dem "heiligen Text" (BŠrbel Flad)
rŸhren. Zum einen aus Angst, Salinger kšnnte dies missfallen, zum anderen, weil
man es sich als Hausverlag von Heinrich Bšll, dessen zweibŠndige "Briefe
aus dem Krieg 1939Ð1945" im Herbst erscheinen, nicht mit dessen Witwe
Annemarie und den Erben verderben will. Bei Rowohlt hingegen zieht man sich
bequem auf die Position der zweiten Reihe zurŸck. Taschenbuchverlagsleiter
Marcel Hartges, der Bšlls Fassung sogar schon als "kanonisch"
ansieht, sagt: "Als Lizenznehmer von KiWi kšnnen wir nicht selbst aktiv
werden."
Aber
warum sollte man auch an Bšlls Text rŸhren? FŸr die Kšlner wŸrde sich die
Investition in ein neues Hardcover nicht rechnen, weil der "FŠnger" Ð
noch immer PflichtlektŸre an Schulen Ð praktisch nur als Taschenbuch
nachgefragt wird. Da bringt man lieber im Herbst ein Aktions-Paperback vom
"FŠnger" fŸr 14 Mark heraus Ð wohlgemerkt zum 50. Verlagsgeburtstag,
nicht zum 50. "Catcher"-Geburtstag. Und warum sollten die Reinbeker Ð
so sie denn dŸrften Ð Geld in eine neue †bersetzung stecken, wo sie von Bšlls
Text seit 1966 problemlos 1315000 Exemplare gedruckt haben und jŠhrlich mehr
als 25000 verkaufen?
Was
Salingers Reaktion angeht, kšnnten die Bedenken gegen eine neue deutsche
Fassung unbegrŸndet sein. Als Penguin UK vor sechs Jahren die erste
originalgetreue Ausgabe von Salingers vier BŸchern publizierte, erhielt Tim
Bates (via Salingers Agent Harold Ober) sogar ein Fax, in dem sich Salinger
"sehr erfreut" Ÿber die neue, ungekŸrzte Ausgabe zeigt.
Gerade
weil J.D. Salinger seit 36 Jahren verstummt ist, ist es bedauerlich, dass KiWi
und Rowohlt das JubilŠum ungenutzt verstreichen lassen. Es wŠre die Chance
gewesen, endlich eine adŠquate †bersetzung zu prŠsentieren. FŸr diesen Fall
kann man von GlŸck sprechen, dass die beiden Verlage durch den angekŸndigten
Verkauf weiterer KiWi-Anteile an die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck ab
kommenden Jahr dem selben Mutterhaus angehšren. Dann gibt es keine Ausreden
mehr. Statt sich wie Kontrahenten zu verhalten, sollten KiWi und Rowohlt schon
jetzt gemeinsam Harold Ober kontaktieren, um sich grŸnes Licht fŸr eine
deutsche Ausgabe zu holen, die ãThe Catcher in the RyeÒ in GŠnze und mit all seinen
Finessen wiedergibt. Die auch das 21. Jahrhundert Ÿberdauert. Auf der Basis des
US-Originals. Und der die Worte vorangestellt sind: "FŸr meine
Mutter". Es wŠre nun wirklich an der Zeit, und wie kŸrzlich fŸnf
†bersetzer bei einem Seminar der Bertelsmann Stiftung probehalber versucht
haben, auch lohnend. Vielleicht aus der †bersetzerwerkstatt von Frank Heibert,
Harry Rowohlt, Joachim Kalka oder Carl Weissner. An fŠhigen Verdeutschern
mangelt es hierzulande ja nun wirklich nicht.
(Zuerst
erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Juli 2001)
© 2001 Reinhard Helling