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Alpha, Beta, Gamma...

Ich bin eine Nachteule, und es ist schwierig für mich, Partner für Nachtfahrten zu finden. Jedes Mal, wenn ich Leute hierher bringe, fragen sie mich, warum wir hier in Tschernie Frösche überfahren und nicht irgendwo nett ein Bier trinken... Ich sage ihnen dann immer, daß zwei Schachteln Zigaretten in einer Kneipe ungesünder sind als nach Wilcha zu fahren. Meistens wollen sie nur schnell weg von hier. Die Leute denken, dieses Land sei verflucht.

Ich persönlich glaube nicht an die Geschichten über Mutanten oder den Schneemenschen von Tschernobyl. Für mich ist es ein interessanter Ort.

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In den Außenbezirken von Wilcha zeigt mein moderner Hand-Geigerzähler „Inspector“ 109 mR/h an. Die Stadt liegt gut 45 Kilometer vom Reaktor entfernt, in der Richtung, in die die ersten radioaktiven Wolken zogen. Mein Freund der „Inspector“ mißt alle Arten von Strahlung, die dem Menschen bekannt sind. Jetzt ist es an der Zeit für eine einfache Lektion über Strahlungsarten.

Die, die einfach durch uns durchgehen, heißen Gammastrahlen; sie ist kumulativ, das heißt sie summiert sich, also kann man berechnen, wie gesundheitsschädlich sie ist. Gammastrahlung ist fast identisch mit Röntgenstrahlen. Röntgenstrahlung ist vom Menschen gemacht, Gammastrahlung ist natürlichen Ursprungs. Man nennt sie auch Höhenstrahlung. Jeder, der mit dem Flugzeug in großen Höhen fliegt, setzt sich einer Höhenstrahlung von 25 mR/h aus. Gammastrahlung ist die härteste Sorte Strahlung mit direkten Auswirkungen. Gammastrahlung ist wellenförmig. Sie wirkt etwa wie unsichtbare Gewehrkugeln und kann innerhalb von Stunden töten. Alpha- und Betastrahlung sind hingegen Teilchen und wirken wie eine Zeitbombe. Atmet man radioaktiven Staub, dringen sie in den menschlichen Körper ein, sammeln sich dort und explodieren ein paar Jahre später in Form von Krebszellen. Alphateilchen sind die schwersten dieser drei, Betateilchen sind extrem leicht, und Gammastrahlung hat gar keine Masse. Alphastrahlung legt nicht mehr als vier bis zwölf Zentimeter zurück, bevor sie aufgehalten wird; man könnte Billard spielen mit Kugeln aus reinem Plutonium. Die äußere Schicht unserer Haut aus abgestorbenen Zellen hält die Alphastrahlung auf, daher wäre es sogar ungefährlich, mit Plutoniumkugeln zu jonglieren, solange man sie nicht aus Versehen verschluckt.

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Wenn man in diesem Gebiet reist, wo der Strahlungspegel 100 mR/h nicht übersteigt, so bekommt man innerhalb einer Stunde dieselbe Gammastrahlendosis ab wie bei einem mehrstündigen Flug von Kiew nach London. Ich fliege nicht nach London, also kann ich nach Wilcha reisen und dieselbe geringe Strahlendosis einstecken.

Leider kann man die Alpha- und Betateilchen nicht zählen, die man einatmet, dabei stellen sie das Hauptrisiko dar. Im ersten Jahr nach der Katastrophe wäre es glatter Selbstmord gewesen, sich hier in einem offenen Fahrzeug zu bewegen; die radioaktiven Partikel liegen am Boden. Ich würde mich von meinen Schuhen verabschieden müssen, wenn ich hier durchs Gras gehen würde. Entsprechend würde ich meinen Geigerzähler kontaminieren und lahmlegen, wenn ich ihn eine der radioaktiven Oberflächen berühren lassen würde. Mittlerweile ist die Strahlung in den Boden gezogen, und der Strahlungspegel ist niedriger. Das Gute daran ist, daß man sich jetzt in diesem Gebiet ohne großes Gesundheitsrisiko bewegen kann. Das Schlechte ist, daß dieses Land inzwischen mit Radioaktivität durchtränkt ist. Das macht weitere Fortschritte in der Dekontamination unwahrscheinlich.

Heuzutage steckt die Strahlung in Gurken und Äpfeln, und ein Geigerzähler ist im Gemüseladen genauso nützlich wie hier. Ein großes Problem sind Pilze. Wir verzehren sechsmal so viele davon wie die meisten Amerikaner. Die Stoffe in den Pilzen sind schädlicher als Cäsium 137 (und der Cäsium-Level in den Pilzen hat sich noch nicht einmal so weit reduziert wie die Halbwertszeit von Cäsium 137).

Sei es wie es ist, genug mit der Wissenschaft, wir fahren bei Tageslicht weiter.

“Verfallener

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