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Friedrich Berlin Verlag: Jahrbuch der Zeitschrift „Theater heute“. 2002. Kapitel 5.
„Vor der Show ist nach der Show“
Ein Gespräch mit Harald Schmidt über seine Lust am Theater, über Kabarett und Fernsehen, über Geld, Verantwortung und Ruhmsucht

A man for all stages


Harald Schmidts Auftritte in seiner Show wirken auf dem Bildschirm fast wie Überfälle, die Kameras scheinen ganz grob auf die Markenzeichen-Mimik geeicht, wobei das Gesicht mitunter zur Grimasse verkümmert. Der selbe Auftritt im Studio 449 in der Kölner Schanzenstraße betrachtet, wirkt völlig anders: Ein Entertainer entert engagiert seine Bühne, aber man hat nebenbei noch alle Zeit der Welt, die Band, die Kabelträger oder den schon anwesenden Herrn Andrack zu begutachten und die fast 250 Mitzuschauer zu mustern. Was im TV-Format technisch und gekonnt kühl daherkommt, ist live veritable kabarettistische Kleinkunst; das Studio ist ein nachgebauter Theaterraum; Harald Schmidt ist ganz Schauspieler, der eine Figur darbietet, improvisiert, extemporiert. Und diese Figur heißt – allerdings nicht ganz zufällig – Harald Schmidt. Jeden Abend wird aus dem Stegreif gespielt, wobei, wie bei Pirandellos Vexierstücken, die Grenze von Sein und Schein beziehungsweise zwischen Schmidt & Schmidt gleichermaßen gewahrt und überschritten wird.
In Matthias Hartmanns Inszenierung von Becketts „Warten auf Godot“ tritt Schmidt bescheiden auf, er hat sich für Lucky, die Underdog-Figur, eine überzeugende Körper-Mechanik ausgedacht und für dessen Monolog-Explosion einen genauen sprachlichen Gestus. Wäre dieser Darsteller nicht auch Harald Schmidt, würde man sagen: „Schon ok.“ Doch in der Nachbetrachtung wirkt diese Bescheidenheit auch schauspielerisch gekonnt, denn das muss man erst einmal schaffen: hinter die gigantischen Erwartungen der TV-gestählten Zuschauer zurückzutreten und einer Figur, die nur dient, vor allem dadurch zu dienen, dass man weder PR-gerecht auftrumpft noch gleich in den Boden versinkt.
In „Direktoren“ von Daniel Besse, von Hartmann in der Direktionsetage der Bochumer Sparkasse inszeniert, gibt Schmidt einen aasigen Manager namens Montparnasse, der seine ihm untergebenen Direktoren bei langwierigen Arbeitsessen mit Spargel, Pommard und Pomerol traktiert und mit bildungsschwangerer Konversation sekkiert. Da benutzt Schmidt seine Show-Figur Harald Schmidt zum Nutzen des Monsieur Montparnasse, er lässt beide Schmidts dauernd doppelbödig und doch deutlich erkennbar miteinander spielen – so, wie gleichzeitig der Monsieur Montparnasse seinen Untergebenen böse mitspielt, die nie wissen, ob er nun ein schnöseliger Eliteschul-Elegant oder ein eiskalter Exekutor ist. Am schönsten wird das Doppelspiel, wenn Montparnasse eine Louis-XIV.-Allonge-Perücke träge und dazu seine aus der Schmidt-Show bekannte Alltagsbrille.
Michael Merschmeier

MICHAEL MERSCHMEIER Heute in Bochum, gestern in Augsburg, vorgestern in Nürtingen. Ihr Vater war dort Verwaltungsangestellter, Ihre Mutter Kindergärtnerin. Wie entsteht da Theaterleidenschaft?
HARALD SCHMIDT Ich bin schon als Schüler von Nürtingen andauernd nach Stuttgart gefahren, 35 Minuten mit dem Zug, und habe die gesamte Peymann-Zeit mitbekommen. Für mich war mit fünfzehn klar: Ich will Schauspieler werden. Ich war auch immer der Klassen-Clown. Und ich habe beim Schultheater mitgemacht. Ich war theaterversessen, und meine Mitschüler nicht. Die Proben kamen bei denen nicht zuerst, mal war die Oma krank, dann mussten sie zu Susi auf den Geburtstag... Ich kannte die Stuttgarter Aufführungen, die wurden mein Maßstab. Bei Peymann gab es damals ein wirklich sensationelles Ensemble, bei den Männern Manfred Zapatka, Ignaz Kirchner, Martin Schwab, Branko Samarovski, Peter Brombacher, Gert Voss, Peter Sattmann... Und bei den Frauen Juli Kosta, Kirsten Dene, Therese Affolter, Lore Brunner, Barbara Nüsse, Regine Lutz...
MM Und dann noch die Alten, Hans Mahnke, Edith Herdeegen... Waren Sie in Stuttgart auf der Schauspielschule?
SCHMIDT Ja, auf der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Sie war aber leider nicht, wie die Falckenberg-Schule in München, dem Theater angegliedert – wir haben nur jeden Abend vier Freikarten bekommen.
MM Gab es denn keinen engeren Kontakt zum Stuttgarter Schauspiel?
SCHMIDT Wir haben einmal Statisterie gemacht, bei Peymanns „Drei Schwestern“, da waren all diese Stars dabei – und wir taten ziemlich überheblich so, als wären wir deren Kollegen. Inzwischen rede ich über das Peymann-Ensemble, wie man früher über Gründgens und seine Truppe redete. Das Letzte, was ich von Peymann gesehen habe, war die „Hermannsschlacht“ in Bochum. Als ich für „Warten auf Godot“ nach Bochum ging und von Peymann und Voss undsoweiter erzählte, da haben die Kollegen mich angeschaut wie junge Fußball-Fans, denen man von Uwe Seeler vorschwärmt.
MM Als Sie sagten: “Mama und Papa, ich will zur Schauspielschule!“, gab es da keine Schwierigkeiten?
SCHMIDT Nein.
MM Und auch bei der Aufnahmeprüfung nicht?
SCHMIDT Nein, ich kam dahin mit fünftausendprozentiger Selbstsicherheit. Ich erwartete eigentlich, dass die Prüfungskommission aufsteht und sagt: „Warum kommen Sie erst jetzt? Gehen Sie bitte gleich weiter zu Herrn Peymann! Herr Voss und Herr Samarovski warten schon.“ Bei der Aufnahmeprüfung lagen unzählige heulende Psychowracks herum, aber ich ging da rein, mit Ski-Pulli und Brille, und sprach vor: den Prinzen von Homburg, Saint-Just und den Vater aus Fernando Arrabals „Picknick im Felde.“ Am nächsten Tag musste ich dann wiederkommen zur Improvisation, da waren schon weniger Aspiranten anwesend, man hatte gesiebt. Schließlich wurden acht genommen, ich war dabei. Ich weiß gar nicht, wie man so eine Aufnahmeprüfung schaffen kann, wenn man zu viel Selbstzweifel hat.
MM Es gibt ja auch introvertierte Grübler, feinsinnige Melancholiker...
SCHMIDT Vielleicht habe ich als Schauspieler nicht so wirklich reüssiert, weil ich seit dem Examen innerlich in der Mitte der Burgtheaterbühne stehe.
MM Sie sind immerhin Diplomschauspieler.
SCHMIDT Ja, vom Land Baden-Württemberg unterstützt. Unter Renditegesichtspunkten ist meine Ausbildung ein Traum.
MM Ihre Produktions-Firma hat fast 100 Beschäftigte und fast 20 Millionen Euro Umsatz.
SCHMIDT Und es gab null Kosten für die Familie, außer dem Studentwohnheim und ein paar Reclam-Heftchen. Ich bekam ja BAföG. Der Darlehensanteil ist schon zurückgezahlt.
MM Gab es zum Abschluss ein Intendantenvorsprechen?
SCHMIDT Der Intendant von Wilhelmshaven hätte mich auch genommen, ich hatte schon zugesagt – für 1.800 Mark. Dann kam noch ein Vorsprechen in Augsburg bei Helge Thoma – die wollten mich auch und boten 2.000 Mark. Da war die Sache klar für mich, außerdem war Augsburg nicht so weit weg von Stuttgart.
MM Was haben Sie in Augsburg gespielt?

SCHMIDT Ich war der meistbeschäftige Schauspieler, in jedem Stück besetzt, aber nur Wurzen. Im „Nathan“ habe ich beispielsweise den Mamelucken gespielt: „Nur hier herein!“ – das ruft normalerweise der Inspizient. Ich dachte natürlich, ich spiele den Tempelherrn. In Brechts „Leben Eduards II.“ war ich der Mönch, im „Lear“ der König von Frankreich. Die einzige größere Rolle war der Kellner in Labiches „Das Sparschwein“. Sonst nur Nebenrollen – und ohne Aussicht auf Besserung.
MM Wie konnte Ihnen das passieren, bei Ihrem Selbstbewusstsein?
SCHMIDT Weil der Oberspielleiter mich nicht ausstehen konnte.
MM Warum haben Sie sich nicht woanders beworben?
SCHMIDT Hab ich, fünfzig Bewerbungen losgeschickt – und nicht mal Absagen bekommen.
MM Das war ’83, ’84?
SCHMIDT Ja. Flimm in Köln, das Theater in Basel – nicht mal Absagen! Gott sei Dank kam da das Angebot vom Düsseldorfer „Kom(m)ödchen“.
MM In Ihrem offiziellen Lebenslauf steht lapidar: „Kay Lorentz entdeckte ihn in Augsburg.“ Wie das?
SCHMIDT Es gab einen Kollegen von der Schauspielschule, Michael Quast, der war zuerst in Ulm engagiert, dann am „Kom(m)ödchen“. Quast vertrug sich nicht mit Thomas Freitag, dem damaligen Star. Lorentz suchte jemanden als Puffer – Quast empfahl mich. Lorentz kam und schaute sich „Orpheus“ von Peter Greiner an, wo ich spielte und am Synthesizer Musik machte. Es war ein Wetter wie heute – Sommer, Sonne, Hitze -, und im Jugendzentrum hatten wir 12 Zuschauer. Unter denen saß, deutlich sichtbar, Kay Lorentz mit Hut samt Leopardenfell. Das Stück hatte 17 Bilder. Nach dem achten stand Lorentz auf und ging – quer über die Bühne. Ich rannte nach der Vorstellung ins Hotel „Drei Mohren“. Er saß allein in einem riesigen Speisesaal, ich ging an seinen Tisch, und er blaffte mich an: „Wie kommen Sie hier herein? Ich habe dem Kellner 20 Mark gegeben, damit er sagt, ich bin nicht da.“ Dann hat er mich zum Essen eingeladen und mir verkündet, er hätte noch nie so etwas Schlechtes gesehen. Ich musste ihm Recht geben – und so gingen wir auseinander. Ein Jahr später rief er an und meinte, die beiden Herren würden sich mittlerweile derart hassen, dass er nun wirklich einen Puffer brauche. Später hat er mir noch mal ausdrücklich bestätigt (Schmidt ahmt Lorentz’ Knödelstimme nach): „Ich hab dich nicht engagiert, weil du gut bist, sondern weil die zwei sich hassten.“
MM Das Nachmachen von Menschen hat Ihnen schon immer Spaß gemacht?
SCHMIDT Ich galt in der Augsburger Kantine als Genie im Kollegen- oder Intendanten-Nachmachen. Meine Stärke liegt sicher nicht im konventionellen Schauspielen. Bei Peymann faszinierte mich, dass Gegensätzliches zusammen ging: „Faust“ und Theaterrummel, „Kleinbürgerhochzeit“ und ein Elvis-Presley-Memorial, geschrieben von Jens Uwe Jensen und gespielt von Peter Sattmann – das habe ich 14 Mal gesehen: Entertainment von bester Las-Vegas-Qualität. Es ging im Parkett oft zu wie bei einem Rockkonzert.
MM Welche Regisseure haben Sie denn, neben Peymann, damals noch bewundert?
SCHMIDT Zadek und Nils Peter Rudolph.
MM Peter Stein?
SCHMIDT Komischerweise nicht. Die Schaubühne war für mich nie ein Ziel, weil ich befürchtete, dort müsse man den ganzen Tag lesen. Oder wahnsinniges Körpertraining betreiben, um sich in Shakespeare-Kostümen von Türmen zu stürzen!
MM Aber Feydeau und Labiche gab es doch auch an der Schaubühne.
SCHMIDT Aber nie so, dass es einfach krachte. Für mein Gefühl wurde da immer der Untergang der bürgerlichen Klasse mitinszeniert.
MM Hatten Sie das Gefühl, einen neuen Beruf auszuüben, als Sie vom Schauspieler zum Kabarettisten mutierten?
SCHMIDT Der Abschied vom Theater fiel mir leicht, weil ich im Kabarett rasch Erfolg hatte. Mir machte es außerdem großen Spaß, für meine Soloprogramme und später dann auch fürs „Kom(m)ödchen“ eigene Texte zu schreiben. Ich musste mich allerdings gegen Kay Lorentz durchsetzen, der mich als Wasserträger eingekauft hatte.
MM Lore Lorentz hatte ja deutliche theatralische Ausdrucksambitionen.
SCHMIDT Sie glaubte, sie könne spielen, das Ehepaar war schließlich mit dem großen Gustaf Gründgens befreundet gewesen! Kay Lorentz glaubte übrigens, das „Kom(m)ödchen“ würde Stücke zeigen. (Imitiert wieder knödelnd:) „Wir machen keine Nummernrevue wie die ‚Lach & Schieß’!“ In jedem Programm kam mindestens einmal das Wort „Chimäre“ vor, und die Autoren liebten Anspielungen auf Shakespeare-Dramen, die Grabrede des Marc Anton etcetera. Dann kam Lore und sagte: „Genial.“ Man war an diese Familie gekettet auf Gedeih und Verderb.
MM War diese Art des kunstvollen politischen Kabaretts nicht schon tot, als Sie dazu kamen?
SCHMIDT Wir hatten mit dem „Kom(m)ödchen“ noch 1987 ausverkaufte Vorstellungen im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Bei den Neuen wie den „Tornados“ oder Matthias Beltz und dem „Frankfurter Fronttheater“ galten wir natürlich als altmodisch und bürgerlich.
MM Wie haben Sie sich denn mit Ihren Solo-Programmen „positioniert“?
SCHMIDT Was ich machte, fand ich intelligent und lustig. Kay Lorentz als alter Prinzipal kam natürlich auch in mein Essener Hinterzimmertheater. Vorher hatte er noch geunkt: „Junge, ich bewundere deinen Mut, mit so dünnen Hündchen auf die Bühne zu gehen“ – sein Todesurteil für einen Text. Dann hat er es gesehen und mir die Hälfte des Programms abgekauft fürs „Kom(m)ödchen“, nur, weil die Leute gelacht haben. Meine kleinen nichtswürdigen Texte wurden erlaubt, damit die Landbevölkerung zwischen Lorentz’ abendländischen Klassikern Luft schnappen konnte.
MM Apropos Abendland – inzwischen gibt es in Ihrer Show auch Anspielungen, die nur ein halbwegs gebildeter Zuschauer zu verstehen vermag.
SCHMIDT Das mag ja so sein, aber nie mit der Behauptung: „Ich weiß es besser!“ Unsere Haltung ist: „Guck’ doch mal rein. Lies’ mal das Buch da. Geh’ in das Konzert.“ Bildung als Programm-Tipp.
MM Das funktioniert so lässig nur – wie ich eben live gesehen habe -, weil Sie eine verschworene Komödianten-Familie um sich geschart haben.
SCHMIDT Wir sind jetzt ein kleines Stegreif-Ensemble. Das ist gewachsen. Dann funktionieren so Geschichten wie heute, wo ich den morgigen Gast ankündige, nicht weiß, ob das ein Mann oder eine Frau ist, der Vorname klingt auch komisch – und dann guckt der Manuel Andrack wie Kasper aus der Kiste noch mal zur Studio-Tür rein und sagt: „Es ist ein Mädchen.“ Da gibt er die klassische Dienerin...
MM Andrack als Dorine und die Schmidt-Show als Molière-Theater. Allerdings hat die Kamera perfekt gestanden für das Extempore von Herrn Andrack.
SCHMIDT Natürlich. Spontaneität muss sitzen.
MM Ihr Spielplatz ist eher ein kleines Kabarett-Theater als ein technisiertes Studio...
SCHMIDT Das muss so sein, denn nach meinem Empfinden zeigen wir jeden Abend live eine Aufführung, die außerdem noch abgefilmt wird – vielleicht keine Theater-Aufführung, auf jeden Fall eine Kabarett-Aufführung. Ich behaupte ganz unbescheiden, dass unsere Show die meisten Fernseh-Sendungen meilenweit überragt, weil wir vom Theater her kommen. In anderen Shows sitzen die Leute einfach da und werden kein bisschen einbezogen.
MM Erst wollten Sie ein normaler, wenn auch besonders guter Stadttheaterschauspieler werden; dann wurden Sie Kabarettist; dann der Darsteller der TV-Ikone Harald Schmidt – die zufälligerweise denselben Namen trägt wie Sie; jetzt geben Sie, mit all Ihrer Fernseh-Prominenz im Rücken, ein Ensemble-Mitglied in Bochum samt NV-Solo und stehen in zwei Inszenierungen auf der Bühne. Werden Sie nicht andauernd mit Herrn Schmidt verwechselt?
SCHMIDT Ich versuche, das professionell auseinanderzuhalten. Aber ich möchte das Publikum nicht damit quälen, dass ich eine Figur spiele, die gar nichts mit mir zu tun hätte oder mit dem, was das Publikum mit mir verbindet. Das schaffe ich nicht, weil ich es nicht schaffen möchte.
MM Was macht mehr Spaß – „Godot“ zu spielen oder „Direktoren“?
SCHMIDT „Direktoren“.
MM Warum?
SCHMIDT Mit „Godot“ habe ich mich wieder hereingeschlichen. Grandioses Stück, natürlich, phänomenal, was immer Sie wollen. Aber wenn der erste Wahnsinnsrespekt vor dem Text und einem Haus wie Bochum vorbei ist – und nach mittlerweile fast 40 Vorstellungen – ja, dann fällt mir natürlich auf, dass ich relativ lange rumstehe mit schweren Koffern, dass ich einen langen Monolog habe und ansonsten stolz sein darf, dass ich so diszipliniert bin. „Direktoren“ – das ist „Dem-Affen-Zucker-Geben“! In der nächsten Spielzeit werden wir das Stück im Kleinen Haus spielen, ohne all das technische Drumherum, die Kameras und die Video-Beams. „Direktoren“ ist ein richtig gutes Boulevard-Stück, spannend, witzig, bissig. Und die Rolle des Monsieur Montparnasse hat eine ganze Menge mit mir zu tun.
MM Könnten Ihnen solche Figuren auch in Zukunft Spaß machen?
SCHMIDT Auf Dauer ist es viel Aufwand für etwas, das ich in meiner Sendung mit durchgetretenem Gaspedal betreiben kann. Wozu sich dann in die Disziplin eines Stücks einbinden? Ich bin bekanntlich anspruchsvoll und gnadenlos mit allen, also auch mit mir, und ich weiß, dass es allein in Bochum mindestens zwei oder drei Schauspieler gibt, die den Lucky genau so gut hätten spielen können.
MM Mindestens.
SCHMIDT Besser sogar. Beim Lucky war ich sehr diszipliniert und schülerhaft. Gert Voss als Lucky – was hätte der sich wohl getraut?
MM Sie gehen vorsichtig mit Ihrem Markennamen um. Aber alles hat seinen Preis. Ich habe gerade gelesen, dass Sie, außer im Theater, hunderttausend Euro pro Auftritt bekommen, mehr als Günther Jauch mit achtzigtausend und mehr als Verona Feldbusch mit sechzigtausend.
SCHMIDT Ja, das habe ich auch mit Interesse gelesen. Allerdings habe ich die hunderttausend Euro noch nie bekommen, weil ich seit langem keine Kaffee-Fahrten mehr betreue.
MM Wenn Sie spielen, subventionieren Sie sich da selbst?
SCHMIDT Nicht wirklich. Wir zeichnen die Sendung zwischen 18.00 und 19.15 auf, dann fährt mich ein netter Student nach Bochum rüber – und um 20.00 beginnt „Godot“, mein Auftritt ist allerdings erst später.
MM Es muss also keine Sendung wegen des Theaters ausfallen. Aber wenn Sie nicht senden wie nach dem 11. September...?
SCHMIDT Ich habe einen Vertrag mit Sat1, dass ich ungefähr 170 Sendungen im Jahr präsentieren muss. Ich werde pro Sendung bezahlt, als Produzent und als Moderator. Es ist meine Freiheit, zu entscheiden: Dann und dann mache ich nichts. Die Pause nach dem 11. September habe ich aus der eigenen Tasche finanziert. Ich sah keine Möglichkeit, direkt danach zu senden, und ich wusste, wenn wir zu früh wieder rauskämen, würde der Show Schaden zugefügt werden. Wir konnten ja nicht, wie die amerikanischen Kollegen, eine Fahne ins Studio stellen oder vor der Kamera weinen.
MM Sie haben ungefähr 100 000 Euro Einnahmen pro Sendung, beschäftigen bis zu 100 Menschen Werden Sie reich durch die Schmidt-Show?
SCHMIDT Als Produzent – doch. Eine Pause wie nach dem 11. September reißt eine Deckungslücke von zwei Millionen Mark. Da muss man halt wissen, bis wann es sich wieder auszahlt.
MM Sie investieren als Produzent in den Conférencier Schmidt, der allerdings auch Ihr einziges Qualitätsprodukt ist.
SCHMIDT Deshalb gehen wir vorsichtig um mit Herrn Schmidt. Wie ein Autokonzern, der 15.000 Fahrzeuge zurückruft, weil bei zwei Wagen die Bremsen nicht funktioniert haben. Es ist schon wichtig, dass man sauber bleibt. Wenn man jeden Abend austeilt, muss man in gewissen Bereichen jungfräulich sein. Ich kann mir keinen Steuerskandal leisten. Ich lebe hier, ich halte mich an die Spielregeln – und die Sendung mache ich so, wie ich will.
MM Sind Sie verantwortungsbewusst?
SCHMIDT Wahrscheinlich. Vielleicht auch durch die Tatsache, dass ich jetzt Chef bin. Vorher hatte ich immer einen, gegen den ich mosern konnte. Im Theater wurde auf die Intendanz geschimpft; beim „Kom(m)ödchen“ haben wir gegiftet, wieviel Kay Lorentz verdient. jetzt bin ich selber der Alte.
MM Sie sind nicht nur der Alte, der Chef des Ladens, sondern er gehört Ihnen auch noch.
SCHMIDT Das macht alles aber nur noch klarer.
MM Neben der Verantwortung haben Sie auch das Risiko.
SCHMIDT Hätte ich mir nicht träumen lassen! Ich kann nicht mal mehr sagen: „Das ist Quatsch!“, weil ich sofort zurückbekomme: „Dann mach’s doch, wie du’s willst! Ist doch dein Laden!“
MM Deshalb führen Sie auch das Klassenbuch, notieren die Krankenstände in der Show.
SCHMIDT Sicher. Und wir haben einen sehr geringen Krankenstand.
MM Gibt es Gewinnbeteiligung für Mitarbeiter?
SCHMIDT Nein.
MM Alles klar kapitalistisch.
SCHMIDT Ich trage schließlich das Risiko. Und ich halte alle Verträge ein, bis hinters Komma. Auch in der Pause nach dem 11. September sind alle freien Mitarbeiter bezahlt worden, was ich nicht hätte tun müssen.
MM Sonst wären Sie unanständig gewesen.
SCHMIDT Schlimmer, ein Bittsteller unter dem Motto: „Habt doch mal etwas Verständnis!“ Aber da ich kein Verständnis dafür erwarte, dass ich gut verdiene, braucht auch niemand Mitleid zu entwickeln, wenn die Firma mal Miese macht.
MM Wie sieht Ihr Tagesablauf aus?
SCHMIDT Ich stehe früh auf, bringe die Kinder in den Kindergarten. Gegen zehn fahre ich ins Studio, lese Zeitung. Danach kommt unsere lockere Jubelfeier, in der wir uns gegenseitig versichern, wie toll der Vorabend war.
MM Quotenmäßig.
SCHMIDT Nein, inhaltlich. Obwohl wir inzwischen auch mit der Quote wieder gut dastehen. Nein, wir jubeln uns gegenseitig hoch, weil wir uns toll finden. Der Vorabend – ein Traum.
MM Was passiert nach dem Jubeln?
SCHMIDT Ich surfe im Internet. Und wenn es die Zeit erlaubt, schau ich eine Folge der Letterman-Show über Satellit. Dann legen wird den Grundablauf fest, und ich pendele mich so allmählich für die Sendung ein.
MM Schreiben Sie selbst mit für die Show?
SCHMIDT Schreiben nicht. Aber ich bringe Ideen ein, oft aus der Lamäng.
MM Wer schreibt denn die Texte?
SCHMIDT Die Texte werden nicht eigentlich geschrieben, nur die Witze für den Anfang. Dafür gibt es acht Autoren, die denken andauernd und schlagen Themen vor.
MM Improvisieren Sie viel?
SCHMIDT An guten Abenden. Wenn ich nicht so in Form bin, hangele ich mich durch das vorgegebene Gerüst. Es macht großen Spaß, zu erkennen, wann man es nicht erzwingen darf, und zu wissen, dass man besser dicht am Gleis bleibt.
MM Wie reagieren Sie auf aktuelle Geschehnisse? Sagen wir mal, Herr Scharping wäre heute gegen 17.00 Uhr zurückgetreten?*
* Das Gespräch mit H.S. fand am 3. Juli statt; als Scharping am 18. Juli entlassen wurde, fand die Aufzeichnung der letzten Show vor der Sommerpause wg. Ferienbeginn schon um 16.00 Uhr statt – und die ntv-Nachrichten liefen als live-Dokumentation de Geschehens...
SCHMIDT Erfahrungsgemäß muss ein Thema einmal durch die Tagespresse gegangen sein, damit das Studiopublikum die Chance hat, zu wissen, worum es geht. Früher wären wir ganz stolz gewesen: nachmittags Rücktritt, gleich darauf das Hauptthema in der Sendung. Heute würden wir wahrscheinlich die 18-Uhr-Nachrichten laufen lassen und dann fragen: Was macht jetzt die Gräfin? Und wen bringt Gerd, wen hat er noch auf der Bank?
MM Haben Sie manchmal Angst vor der Show?
SCHMIDT Nein, nie. Ich fühle mich nirgends so sicher wie in der Sendung.
MM Nehmen Sie am so genannten gesellschaftlichen Leben teil?
SCHMIDT Null.
MM Aber Sie treten schon auf bei Bambi-Verleihungen und Ähnlichem.
SCHMIDT Nur, wenn ich den Bambi kriege. Aber ich würde nirgends hingehen, um mein Gesicht in die Kamera zu halten. Das langweilt mich.
MM Andere machen es und laufen ständig Pflicht durch die Klatschkolumnen.
SCHMIDT Sicher. Aber ich bin ja nicht nett, ich würde immer nur Opfern begegnen. Dann wäre die Gefahr der Verbrüderung groß à la „Gut, dass Sie drüber lachen können, war auch nicht so gemeint“. Es war aber so gemein gemeint. Ich muss aus einer Burg heraus meine Pfeile abschießen. Die Party-Ebene findet nicht statt.
MM Aber ein normales Leben?
SCHMIDT Das ja.
MM Sie haben drei Kinder.
SCHMIDT Ja, der älteste Sohn lebt bei seiner Mutter. Mit den beiden jüngeren und ihrer Mutter führe ich ein stinknormales Familienleben.
MM Mit keiner der beiden Mütter waren beziehungsweise sind Sie verheiratet.
SCHMIDT Stimmt, aber das ist inzwischen sogar bei der CDU erlaubt. – Zuhause schlaffe ich ab. Sobald ich aus der Tür gehe, bin ich auf Sendung: Der Taxifahrer zieht mich ins Gespräch, wenn ich Brötchen hole, werde ich was gefragt, an der Bushaltestelle will einer schnell ein Foto machen, undsoweiter. Mein Bekanntsheitsgrad liegt bei 90 Prozent.
MM Fast so bekannt wie der Bundeskanzler.
SCHMIDT Nur fast. Sat1 lässt das jedes Jahr checken.
MM Wenn Sie neue Menschen kennenlernen, wissen Sie da überhaupt, ob Sie als Person gemeint sind oder als die TV-Ikone Schmidt?
SCHMIDT Ich fühle mich in der Kunstfigur ohnehin wohler als in mir selbst. In der Kunstfigur weiß ich, wo es langgeht. Bei mir selbst... Vielleicht laufe ich ja mein ganzes Leben einem falschen Ehrgeiz nach, weiß Gott, wo ich überall hin muss – ans Schauspielhaus Bochum, ins „Spiegel“-Gespräch, aufs Titelbild von „Theater heute“! Einiges ist ja inzwischen abgehakt.
MM Was soll denn jetzt noch aus Ihnen werden?
SCHMIDT Wenn ich es gesundheitlich durchhalte, mache ich die Show bis zur Pensionierung.
MM Mit drei Bypässen wie David Letterman.
SCHMIDT Fünf, er hat fünf. Und Phantastilliarden auf dem Konto, die er nicht mal anrührt.
MM Geld ist kein ausreichendes Ziel?
SCHMIDT Nicht wirklich. Ich wollte immer ein Star werden. Dass es dafür auch noch Geld gibt, ist ein schöner Nebeneffekt. Mein Name auf dem Plakat des Stuttgarter Staatstheaters, das wäre ein Ziel! Und, ich wiederhole mich gern, die Titelseite vom „Theater heute“.







"Ein einziger Egotrip"

Gerade erst zum "Nachwuchsschauspieler des Jahres" gewählt, erklärt Harald Schmidt seinen Rücktritt von der Bühne. Ein Gespräch über die Lust an der Show - Interview

WELT am SONNTAG: "Nun? Nur her damit!" - erinnern Sie sich an diesen Text, Herr Schmidt?

Harald Schmidt: Klar. Das sind die einzigen vier Worte, die ich 1981 als Mameluck in "Nathan der Weise", meiner ersten Rolle in Augsburg, sprechen durfte.

WamS: Normalerweise wird diese Rolle gestrichen. Warum wurden Sie mit dieser Statistenrolle abgespeist, fehlte es Ihnen an Talent?

Schmidt: Ich glaube nicht, dass ich als Schauspieler besonders begabt bin, aber ich habe ein pathologisches Selbstbewusstsein. Ich bin besonders ehrgeizig und zäh. Was aber die Mamelucken-Rolle angeht, so war es weniger meine Begabung, die dazu führte, eine solch winzige Rolle zu spielen, sondern die Schuld des Oberspielleiters. Der hasste mich von Anfang an. Daher hatte ich keine Chance, an bessere und vor allem größere Rollen zu kommen.

WamS: Und eine Verständigung war da nicht möglich?

Schmidt: Ich habe so lange gegen ihn intrigiert, bis er abgesetzt wurde. Das war damals meine Form von Verständigung.

WamS: Warum haben Sie nicht versucht, an ein anderes Theater zu gehen?

Schmidt: Ich habe während der drei Jahre, die ich in Augsburg war, von 1981 bis '84, rund fünfzig Bewerbungen geschrieben. Aber ich habe noch nicht mal Absagen bekommen.

WamS: Haben diese Misserfolge den jungen, ehrgeizigen Schauspieler Schmidt dazu bewogen, sich ein anderes Fach, das Kabarett, zu suchen?

Schmidt: Auch. In Augsburg habe ich schon gemerkt, dass ich in der Kantine viel besser bin als auf der Bühne. Das Nachäffen des Intendanten und das Lächerlichmachen des Theaterbetriebs, das lag mir. Langsam wurde mir klar, dass ich nicht der Spitzenschauspieler bin, der ich dachte, sein zu müssen. Aber diese spezielle Begabung zur Satire, die wollte ich ausbauen.

WamS: Der Weg führte Sie dann nach Düsseldorf ans Kom(m)ödchen, wo sie gemeinsam mit Kay und Lore Lorentz arbeiteten. Aber jetzt, zwanzig Jahre nach Ihrem Augsburger Debüt, haben Sie in Bochum den Lucky in "Warten auf Godot" und den Monsieur Montparnasse in "Die Direktoren" gespielt. Was hat Sie dazu bewogen?

Schmidt: Ich wollte es einfach nochmal wissen. Im Grunde genommen ist die ganze Sache ein einziger Egotrip. Das Schauspielhaus Bochum hat mir die Möglichkeit gegeben, zwanzig Jahre Trauma abzuarbeiten.

WamS: Sicherlich nicht ganz uneigennützig; denn auch Intendant Matthias Hartmann hat von Ihrer Popularität als Fernsehstar doch profitiert?

Schmidt: Für mich muss ich das andersherum beurteilen. Ohne meinen Bekanntheitsgrad hätte ich nie die Chance bekommen, in einem Haus wie Bochum mit einer jahrzehntelangen Tradition spielen zu dürfen. In Bochum zu spielen, das ist dasselbe wie für einen Fußballer, beim AC Mailand oder Real Madrid zu kicken.

WamS: Hatten Sie nach der langen Bühnenabstinenz nicht Angst, Sie könnten versagen?

Schmidt: Mit der ersten Rolle, die ich spielte, die des Lucky, war ich mir sicher: Das packst Du, Harald.

WamS: Und wie war das bei Daniel Besses Stück "Die Direktoren"? Da hatten Sie als Monsieur Montparnasse eine tragende Rolle.

Schmidt: Das war sehr viel schwieriger, als ich gedacht hatte. Da habe ich mich überschätzt. Das Durchziehen einer Figur, die schnellen Dialoge und das Spiel mit Partnern wie Martin Rentzsch und Felix Vörtler ist doch etwas anderes, als nur einen Monolog zu sprechen. Und das Niveau, auf dem die Schauspieler in Bochum agieren, ist sehr, sehr hoch. Ich hatte ja vorher nie mit Spitzenschauspielern wie Fritz Schediwy, Michael Maertens oder Ernst Stötzner zusammengearbeitet.

WamS: Claus Peymann hat gegenüber der WELT am SONNTAG die Traumvorstellung geäußert, Sie einmal als Faust am Berliner Ensemble begrüßen zu dürfen. Könnte das für Sie eine neue Herausforderung sein?

Schmidt: Nein, ich ziehe mich mit der beruhigenden Erkenntnis zurück, dass viele Schauspieler besser sind als ich.

WamS: Bedeutet das, dass Sie gar keine neuen Stücke mehr in Angriff nehmen werden?

Schmidt: Ja, das heißt es. Wenn man Theater spielt, muss man es richtig machen. Ich schaffe das schon zeitlich nicht. Das Team in Bochum war zwar unglaublich rücksichtsvoll, aber das war mir oft unangenehm. Zudem gibt es viele Elemente, die ein Schauspieler braucht, um ein Spitzenstar zu sein. Ich glaube zum Beispiel, dass ich für einen Schauspieler zu groß bin. Das klingt zwar wie eine Bagatelle, ist aber wichtig.

WamS: Diese Woche haben Sie Kritiker in der Zeitschrift "Theater heute" zum "Nachwuchsschauspieler des Jahres" gekürt. Könnte das nicht doch ein weiterer Ansporn für den 45-jährigen Harald Schmidt sein?

Schmidt (lächelt): Das ist dann ja eher der krönende Abschluss.

WamS: Werden die beiden Bochumer Stücke jetzt umbesetzt?

Schmidt: Die Rolle des Lucky werde ich weiterspielen. Was mit dem Stück "Die Direktoren" sein wird, ist noch nicht klar. Ich habe jedenfalls keine Zeit, zwei Stücke zu spielen.

WamS: Also beschränken Sie sich jetzt darauf, die "Harald Schmidt Show" mit voller Kraft zu machen?

Schmidt: Ich stelle einfach fest, dass ich beim Fernsehen sehr gut aufgehoben bin.

WamS: Glauben Sie, dass mit der Show für Sie der berufliche Höhepunkt erreicht ist?

Schmidt: Ich fürchte es. Was kann da noch kommen? Eine Herausforderung für mich wäre allenfalls noch eine Hauptrolle bei Scorsese. Aber das wird nie der Fall sein. Alles andere habe ich ja gehabt. Ich habe mit Helmut Dietl einen Film gemacht. Damit ist das Thema "deutscher Film" für mich durch. Ich wüsste nicht, was mich noch dazu bewegen könnte, von der Show wegzugehen.

WamS: Eine ganz andere, neue Herausforderung vielleicht?

Schmidt: Dass ich jeden Abend besser sein will als am Vorabend, ist Herausforderung genug. Keine Show ist wie die andere. Wir sind unglaublich flexibel und reflektieren regelmäßig unser Tun. Wir arbeiten frisch, tagesaktuell, das merken die Zuschauer.

WamS: Und die Quoten sind gut?

Schmidt: Wir sind sehr zufrieden. Die Leute wissen, was sie erwartet, wenn sie einschalten. Wir sind zuverlässig, aber nicht eingefahren. Das macht unsere Kunst aus.

WamS: Erheben Sie also mit Ihrer Show einen Kunstanspruch?

Schmidt: Ja, das nehme ich für uns in Anspruch. Es ist die Kunst des Stegreiftheaters. Und das ist allemal besser als das, was in diesem Sommer die Salzburger Festspiele mit ihrer "Jedermann"-Inszenierung für VIPs zu bieten hatten.

WamS: Ihre Show lebt auch von den politischen und gesellschaftlichen Ereignissen, vom Wahlkampf, der Flut, der Irak-Frage. Hätten Sie nicht auch mal Lust, gerade jetzt, in Zeiten des Wahlkampfs, politisch aktiv zu werden, deutlicher und für eine Partei Stellung zu beziehen?

Schmidt: Auf keinen Fall. Ich freue mich, wenn andere sich in die Talk-Shows setzen und sich um Kopf und Kragen reden. Das ist dann der Punkt, wo die "Harald Schmidt Show" einsetzt. Ich selber kann gar nicht beurteilen, wie die Situation im Irak aussieht, weiß nicht, was ein NATO-Mandat wirklich bedeutet. Ich höre die Begriffe und dann wird die eigene Ratlosigkeit ausgebreitet. Die ganze Show ist nichts anderes, als sich selber dafür zu geißeln, dass man keine Ahnung hat.

WamS: Ist die Lage nicht zu ernst, um Witze darüber zu machen?

Schmidt: Die politischen Ereignisse sind ja nicht wirklich ernsthaft, das ist ja das tolle. Ja, was ist denn jetzt mit der Aussage, wir greifen den Irak nicht an? Wenn die Amis morgen sagen, um sechs Uhr ist es so weit, dann schicken wir Krankenschwestern für Frischamputierte und zwei Panzer, die nur Getränke verteilen. Es ist ein Irrtum zu glauben, man könne sich den amerikanischen Befehlen entziehen. Für uns ist es dann spannend zu sehen, wer kippt wann um und wie kommuniziert er das. Denn dass umgekippt wird, ist ja keine Frage.

WamS: Das klingt so, als würde Sie das alles ganz kalt lassen. Bleiben Sie in schwierigen Situationen immer gelassen, oder gibt es auch Momente, wo Sie wütend und deshalb unkontrolliert sind?

Schmidt: Schimpfen ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Wenn ich keine Sendung habe, sitze ich zu Hause und schimpfe auf alles. Für meine Schimpforgien habe ich jetzt einen idealen Partner gefunden. Der Schauspieler Fritz Schediwy, der in Bochum den Pozzo in "Warten auf Godot" spielt, ist da ähnlich veranlagt wie ich. Wir beide schätzen die Kultur des Schimpfens. Wir treffen uns drei Stunden vor der Vorstellung und schimpfen und schimpfen und schimpfen ... auf alles.

WamS: Und das befreit?

Schmidt: Wahnsinnig. Sonst ist das Leben doch nicht auszuhalten.


Das Gespräch führten Christiane Hoffmans und Willi Keinhorst.

Erscheinungsdatum: 01. 09. 2002