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Drucken 27.12.2003

Schmidtgift

Fernsehvolkstrauertag 23. Dezember: Der stilsichere Abgang eine Mannes, der bei Sat 1 Thomas Bernhard spielte

 

Am Tag, als Gott endgültig tot war, zeigte sich Deutschland wie so oft zerrissen: Schnee, reiner, weißer Schnee deckte den Süden, während der Sturm im Norden bereits den nächsten Frühling erahnen ließ. Historisch war dieser 23. Dezember 2003 nur mit dem 1. Oktober 1982 zu vergleichen, als Helmut Kohl im Bundestag den eisernen Kanzler Helmut Schmidt und draußen im Lande das bessere Deutschland in tiefste Betroffenheit stürzte. Helmut Schmidt wurde übrigens am gleichen 23. Dezember 85 Jahre alt, und wer nicht miterleben wollte, wie Gott starb, wer sich als Atheist den Exequien zu verweigern vermochte, konnte im Fernsehen alternativ den anderen Herrn Schmidt betrachten. Gott ist tot, aber Helmut Schmidt lebt.


Es war Anke Engelke, die sich mit dem Spruch „Harald Schmidt ist Gott“ in das in allen größeren Städten aufliegende Harald-Schmidt-Kondolenzbuch eintrug. Und da man keine fremden Götter neben ihm haben soll, wird jetzt eine Göttin, die erwähnte Gottesanbeterin Engelke, seine Nachfolgerin. Dieses scholastische Kunststück wird eigentlich nur noch von der Harald-Schmidt-Biografin Mariam Lau übertroffen, die in ihrem bettinaröhlschen Eifern in Harald Schmidt, geboren 1957 in Neu-Ulm, ein bisher unbekanntes Mitglied der RAF enttarnt: „Nicht nur, dass viele Terroristen aus dem süddeutschen Raum stammten“, rast sie in der Welt am Sonntag, „nicht nur, dass der deutsche Botschafter in Schweden mit einer Pistole erschossen wurde, auf der ‚Württembergisches Staatstheater’ stand“, nein, Claus Peymann vom Württembergischen Staatstheater wollte damals Geld gespendet haben für neue Baader-Meinhof-Zähne und gab dem Eleven Schmidt eine erste Rolle als Soldat. Harald Schmidt, ganz klar, hat mitgeschossen. Höchste Zeit, dass das mal einer gesagt hat. Danke, Mariam!


Dabei ist doch nichts Schlimmeres passiert, als dass einer mal nicht gefeuert wurde, sondern freiwillig und auch noch auf dem Höhepunkt seines Ruhms ging. Am 8. Dezember hat Harald Schmidt bekannt gegeben, dass er keine Lust mehr habe und sich erst mal eine „Kreativpause“ nehme. In seinem Hunger nach populären Themen – schließlich will auch die Kultur nur geliebt werden – wusste das Feuilleton darob nichts Besseres, als die klassische Form der kulturkritischen Wehklage. Als hätten die großen Redaktionen allesamt ihre Familien bei einem naturgemäß tragischen Autounfall verloren, wurde von Nord nach Süd nur von „Kummer“, „Notstand“ und sogar einer „Wunde der deutschen Gesellschaft“ geseufzt. Die deutsche Gesellschaft wird diese Wunde mühelos verschmerzen, den bleibenden Defekt aber haben die Wundenzeiger, die nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Leid.


Jetzt mal ganz langsam: Als Harald Schmidt vor acht Jahren anfing, wurde er erbarmungslos verrissen. Allein Josef Joffe, der die David-Letterman-Show kannte, fand (damals noch in der SZ) einiges an Schmidt zu loben. Dessen Show wurde bekannt als Abspielstätte der Bohlen-Feldbusch-Ehe und war trotz des ewigen Bild- und Bunte-Personals sehr schnell sehr viel besser als Letterman.


Harald Schmidts Erfolgsgeheimnis war das Staunen über die Welt. Mit einer


Biedermannmaske, die von Dieter Hildebrandt geborgt schien, wiederholte er, was sich für alle sichtbar Tag für Tag an Blödsinn zutrug. Dann begann er nicht mehr nur Lebenszeit, sondern die eigene Sendung zu zerstören, redete nur Französisch oder ließ es dunkel werden oder metronomisch ticken, schwieg, pausierte, schwieg wieder. Spielte in Bochum tieftragisch den Lucky und inszenierte auf der eigenen Bühne Beckett, als wär’s ein Stück vom späteren Thomas Bernhard.


Er war einfach komisch, und zwar komisch mit dem Material, das die Welt jede Tag anlieferte: Samenraub, Busenwitwe, Warmduscher, „Mit uns nicht, Uli“, die gnädig vergessene „Susän Stänkie“ und dergleichen Müll brüllte doch danach, möglichst aufwändig runtergebracht zu werden. Er tat es.


Deshalb war es von unsagbarer Peinlichkeit, wie die Intellektuellen Männchen machten vor ihm. Er muss sich schier totgelacht haben darüber, wie leicht wir zu bluffen waren, wie ein paar Begriffe aus der Hochkultur genügten, um die Hochkulturalisten in ekstatischen Verrenkungen über „Anti-Fernsehen“ und seine „angemessen zynische Gesellschaftsbetrachtung“ zucken zu lassen. Die Ergebenheitsadressen gehen lustig weiter in dem Gejammer, dass man ja nun nicht mehr wisse, wie man den Abend verbringen soll. Kleiner Hinweis: Es gab vorher und auch während der Harald-Schmidt-Jahre atemberaubend langweilige, aber kulturell unheimlich wertvolle Filme auf Arte etwa über die Erfindung des Rads im Ostafrikanischen Graben, und, denkt mal an, es wird sie auch weiter geben. Man könnte aber auch mal wieder seine Frau lesen oder ein gutes Buch schlagen.


Fehlen wird allerdings die reine Artistik, zu der Harald Schmidt, unendlich weit emanzipiert von seinem Vorbild Dieter Hildebrandt, beispielsweise nach der Gefangennahme Saddam Husseins auflief. Zunächst lobt er den Bösewicht für seinen „Stil“, weil er gewartet hatte, bis Harald Schmidts Abgang verkündet und durchgefeiert war. Dann das:


Andrack: „Vielleicht hat er gesagt, ich habe keinen Bock mehr.“


Schmidt: „Ich fand ihn früher besser.“


Andrack: „Er ist nicht mit den neuen Machthabern zurecht gekommen.“


Schmidt, der sich im Einspielfilm beim Untersuchen der Mundhöhle und dem Abtasten nach Läusen filmen ließ, kratzt sich am offenbar frisch rasierten Kinn.


Andrack: „Man hat das Gefühl, er hatte es bis hier.“ (Geste zum Hals)


Schmidt: „Früher hat er sich mehr einfallen lassen – aber wenn du täglich diktaturen musst . . .“


Sie tauschen sich aus über mögliche Saddam-Doppelgänger und die Fähigkeit von Sat 1, Gefühlsfernsehen zu produzieren.


Schmidt: „Ich habe das Gefühl, beim 1. FC Köln brechen bessere Zeiten an.“


Andrack: Springt hinter seinem Monitor auf, brüllt zimmermannesk „Ja! Ja! Jaaa!“ und feuert mit einem Sturmgewehr in die Luft wie Saddam Hussein nach der Wahlniederlage von George Bush senior im November 1992. (Ob Frau Lau nicht doch Recht hat und in der Harald Schmidt Show die letzten RAF-Terroristen untergetaucht sind?)


Das ist, so gedruckt, müde und wenig aufregend, aber so verhält es sich mit Thomas Bernhards Partituren auch, die erst erblühen, wenn ein Theatermacher wie Bernhard Minetti sie zerspielte. Völlig zu Recht stellte Bild die scheinheilige Frage: „Treibt es Schmidt jetzt nicht doch etwas zu weit?“ Weiter als er ging keiner. Gott mag tot sein, aber das Fernsehen in seiner verlässlichen Blödheit geht immer weiter. Ach, wir Armen!


Bei der letzten Sendung am Tag vor Heiligabend (Marktanteil: große 17,6 Prozent) musste es naturgemäß das Endspiel sein. Schmidt zelebrierte Beiläufigkeit, unterspielte alle Sensationserwartungen, war also wieder bei Beckett. Blind ist sein Hamm und sagt: „Es geht voran.“ Schmidt geht. Oder bleibt.



SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 27.12.2003

WILLI WINKLER