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David Richard:

Die Unbedenklichkeit von Stevia

Im Mai 1991 erließ die amerikanische FDA ein wichtiges Verwendungsverbot für die Blätter von Stevia Rebaudiana und deren Extrakte, das praktisch zum Erliegen des Verkaufs von Stevia hier in den Vereinigten Staaten führte. Im September 1995 jedoch revidierte die FDA das Importverbot für Stevia teilweise. In dieser revidierten Fassung heißt es, Steviablätter oder Extrakte aus Steviablättern oder Steviosid sind zum Import nur dann zugelassen, wenn sie ausdrücklich als diätetischer Ersatzstoff gekennzeichnet oder zur Verwendung als Zutat in einem diätetischen Ersatzstoff bestimmt sind. Das revidierte Verbot schließt insbesondere aus, daß Stevia als Süß- oder Geschmacksstoff eingeführt wird. Wird Stevia jedoch als Nahrungsergänzungsmittel eingeführt, wird die FDA sie weder einziehen noch beschlagnahmen. Wie auch das ursprüngliche Importverbot bezeichnet das revidierte Importverbot Stevia und seine Extrakte als nicht zugelassene Lebensmittelzusatzstoffe ohne GRAS-Bescheinigung (generally recognized as safe - gilt als generell unbedenklich) für die Vereinigten Staaten. In der revidierten Fassung heißt es, die vorliegenden toxikologischen Informationen über Stevia reichten für den Nachweis ihrer Unbedenklichkeit als Lebensmittelzusatzstoff oder zur Ausstellung einer GRAS-Bescheinigung nicht aus.

Was sagt das über die Unbedenklichkeit von Stevia? Es scheint, als stelle das aktuelle revidierte Importverbot einen Kompromiß dar. Einerseits ist es eine Konzession an die Hersteller naturbelassener Produkte, indem es Import und Verkauf von Stevia als Nahrungsergänzungsmittel zuläßt, andererseits schützt es die verbrieften Interessen der Süßstoffhersteller und der Zuckerlobby, indem Stevia als Süß oder Geschmacksstoff unzulässig bleibt. Es scheint, als hätten die wissenschaftlichen Fakten bei dieser Entscheidung eine sehr geringe Rolle gespielt, als sei sie viel mehr stark von den politischen Realitäten beeinflußt worden.

Das führt uns wieder zu der Frage zurück: Ist Stevia unbedenklich? Um darauf eine Antwort zu finden, müssen wir uns in die wissenschaftlichen Forschungen zu Stevia seit 1887 und in die Berichte über ihre Verwendung durch die Indianerstämme in Paraguay während der letzten beiden Jahrhunderte wie auch ihren heutigen Einsatz weltweit vertiefen.

Was die traditionelle Verwendung der Stevia Rebaudiana durch die Guaraniindianer anbelangt, so gibt es so gut wie keine Dokumente, die etwas darüber aussagen, in welchem Umfang sie als Süßstoff eingesetzt wurde oder ob ihr irgendwelche medizinischen Wirkungen zugeschrieben wurden. Ein Forscher schrieb:

»Oft ist es schwierig oder gar unmöglich, die frühe Verwendung von Pflanzen durch Eingeborene zu dokumentieren, weil sie oft ihr Wissen nicht an Außenstehende weitergaben, öfter aber noch die (eingewanderten) Siedler diese Informationen, ignorierten; und wenn solche gaben dann endlich Wertschätzung erfuhren, war die indigene Kultur mitsamt ihrer Ethnobotanik bereits zerstört oder bestenfalls nur noch fragmentarisch vorhanden. Wir sind daher Männern wie Bertoni, Gosling und Dieterich für ihre frühen Berichte über die Verwendung von Stevia als Süßstoff durch die Eingeborenenstämme zu Dank verpflichtet. Auch diese Berichte sagen etwas zur Frage der Unbedenklichkeit von Stevia, da die primitiven Völker wesentlich mehr im Einklang mit ihrer Umwelt und in Harmonie mit ihrer

Nahrung leben als wir, die wir uns zur Feststellung der Unbedenklichkeit und des Nährwerts unserer Lebensmittel auf andere verlassen. Die traditionelle Verwendung von Stevia durch die Guaraniindianer ist daher ein wichtiges Argument für die Unbedenklichkeit von Stevia.

Der hohe Verbrauch von Stevia und Steviosiden in den vergangenen zwanzig Jahren ist ein weiteres wichtiges Argument für die Unbedenklichkeit von Stevia. Bei den massiven Mengen an Steviaextrakten und Steviosiden, die jedes Jahr konsumiert werden, sind die Aufzeichnungen zur Unbedenklichkeit von Stevia im wahrsten Sinne erstaunlich. Während der vergangenen vierzig Jahre wurden in der ganzen Welt keinerlei Fälle einer Überdosis oder Toxizität von Stevia für den Menschen gemeldet. Selbst die skeptischsten Kritiker von Stevia gestehen dieses Fehlen jeglicher Toxizität zu.

Wissenschaftliche Forschungen bestätigten in kontrollierten Laborexperimenten, die sich zum einen auf die kurzfristigen Folgen einer Zufuhr sehr großer Mengen Stevia und die langfristigen Folgen angemessenerer Mengen von Stevia in der Nahrung konzentrierten, daß Stevia und Stevioside nicht toxisch sind. Die erste dieser Studien wurde 1931 von Pomeret und Lavieille durchgeführt. Diese Studie kam zu dem Ergebnis, daß Steviosid bei Kaninchen, Meerschweinchen und Hühnern nicht toxisch ist und ohne besondere Modifikation wieder ausgeschieden wird.

Die ersten modernen Tests zur Unbedenklichkeit von Stevia wurden 1975 von Haruo Akashi und seinem Kollegen Dr. Yoko Yama durchgeführt und von der Tama Biochemical Co. aus Japan finanziert. Dieser Test wurde in drei von einander getrennte Studien aufgeteilt: Auswirkungen auf die Fortpflanzung, kurzfristige Auswirkungen und Langzeitwirkung. Ihre Fortpflanzungsstudie kam zu dem Ergebnis, daß es bei der Schwangerschaftsrate von Tieren, die einem Test zur Feststellung der Auswirkungen der Zufuhr von Stevia unterzogen wurden, keine Anomalien oder statistisch nachweisbaren Unterschieden gab. Was die akute Toxizität (kurzfristige Wirkung) anbelangt, stellten sie fest, daß »die Unbedenklichkeit der drei (Stevia) Extrakte in großem Ausmaß als gegeben erachtet wird. In den Ergebnissen zur Lang-Zeittoxizität heißt es: »Im ganzen führte die Zufuhr von 5g/Kg/ Tag nicht zu ungünstigen Auswirkungen bei den Versuchstieren. Mit anderen Worten, Stevia erwies sich sowohl bei den Kurzzeit- wie auch bei den Langzeittoxizitätsstudien als unbedenklich.

Diese Ergebnisse wurden bei einer Reihe weiterer Forschungsstudien in Japan, Korea und den Vereinigten Staaten bestätigt. Die koreanische Studie, durchgeführt an der Universität Seoul, kam zu dem Schluß, daß »bei der Wachstumsrate der Tiergruppen, denen 56 Tage lang große Mengen Steviaextrakt oral zugeführt worden waren, keine Anomalien auftraten... Aus den Ergebnissen der Experimente ist zu schließen, daß Steviaextrakt wie auch Steviosid bei Albinoratten keine akute oder subakute Toxizität zeigte.«

Eine weitere große japanische Studie (Yamada 1984) stütze diese Ergebnisse mit der Schlußfolgerung: »Als männlichen und weiblichen Ratten über einen Zeitraum von Zweijahren Steviaextrakt bis zu einer Menge von 1% ihrer Gesamtfuttermenge verabreicht wurde, waren keine signifikanten Veränderungen ihrer Körperkraft, ihres allgemeinen Erscheinungsbildes, ihrer hämatologischen und biochemischen Blutwerte, ihres Organgewichts oder makroskopischer oder mikroskopischer Bilder festzustellen.«

Ein Forschungsteam der Universität Illinois bestätigte in einem zweiwöchigen Experiment, bei dem Mäusen Dosen von jeweils 2g/Kg der nachfolgenden Substanzen zugeführt wurden, die Unbedenklichkeit von über einen kurzen Zeitraum verabreichtem Steviosid sowie der Rebaudioside A-C, des Steviolbiosid und Dulcosid A, weiteren biochemischen Bestandteilen von Stevia. (Meldon et al., 1982).

Somit ist also aus wissenschaftlicher wie aus historischer und moderner verbrauchsorientierter Perspektive klar; daß Stevia über einen kurzen wie einen langen Zeitraum eine unbedenkliche, nicht toxische Substanz ist. Es gibt jedoch noch einen weiteren Unbedenklichkeitstest, der zum Ursprung der kontroversen jüngsten Geschichte von Stevia wurde: der Test zur potentiellen Mutagenität der Steviametaboliten.

Mutagenitätstests werden in erster Linie durchgeführt um festzustellen, ob eine Substanz karzinogen (krebserregend) ist oder nicht. Für gewöhnlich wird dabei lebenden Bakterien wie sie im Verdauungstrakt des Menschen vorkommen, im Verbund mit mehreren aktivierenden Substanzen eine Testsubstanz zugeführt, um festzustellen, wie dieser »Cocktail« das Bakterienwachstum beeinflussen wird. Abhängig von der Anzahl der anomalen oder mutierten Bakterienzellen wird dann eine Substanz als mutagen (potentiell karzinogen) oder nicht mutagen (unbedenklich) eingestuft. Ein einschlägiger Fall ist hier der synthetische Süßstoff

Saccharin, der in einer Studie aus dem Jahre 1977 für mutagen befunden und daraufhin von der FDA zeitweise verboten wurde. Heute sind besondere Hinweise auf dem Etikett erforderlich, die die Verbraucher vor dem möglichen Risiko einer Verwendung des entsprechenden Produkts warnen.

Die erste Untersuchung zu einer potentiellen Mutagenität von Stevia wurde 1979 auf Antrag der Stevia Association (Steviaverband) vom Japanischen Zentrum für die Sicherheit von Arznei- und Lebensmitteln durchgeführt. An vier Bakterienstämmen wurden ein Extrakt aus getrockneten Steviablättern und ein raffiniertes Steviosidpräparat getestet. Der Test zeigte »keine Induktion einer Mutation bei jeder direkten wie metabolischen Aktivität. « 1983 wurde eine zweite Studie zur potentiellen Mutagenität von Stevia durchgeführt, wieder am Zentrum für biologische Sicherheit des Nationalen Instituts für Hygienische Wissenschaften in Tokio. Insgesamt wurden 190 synthetische und 52 natürliche Nahrungsmittelzusätze beurteilt, darunter auch ein 85%iger Steviaextrakt. Bei diesem Test wurden sechs Bakterienstämme auf Mutationen untersucht. Bei einer Dosis von 12mg/ml erwies sich Steviaextrakt im Hinblick auf seine Mutagenität als so unbedenklich wie Chlorophyll oder Vanilleextrakt.

Die Kontroverse um Stevia begann 1984 mit der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen von John Pezzuto und Kollegen vom College of Pharmacie der Universität Illinois, Chicago. Diese Forschungsergebnisse legten Beweise dafür vor; daß sich ein Steviosidmetabolit mit der Bezeichnung Steviol in Gegenwart zweier metabolismusaktivierender Substanzen mutagen verhält. Dieser Test wurde an einem bestimmten Salmonellenstamm unter Verwendung des Metaboliten Steviol statt Steviosid oder Steviaextrakt durchgeführt. Zwei weitere Schriften desselben Teams, veröffentlicht 1985 und 1986, bauten diesen Standpunkt weiter aus und legten Beweise dafür vor; daß ein weiterer Steviosidmetabolit, da einem bekannten Mutagen nahe verwandt, potentiell ebenfalls mutagen ist. Aufgrund der zwingenden Aussagekraft dieser Forschungen erließ die FDA ihr Importverbot für Stevia, was im Endeffekt zum Erliegen des Verkaufs in den USA führte.

Wie aussagekräftig ist diese Forschung?

Die Grundvoraussetzungen, auf denen die Studie der Universität Illinois aufbaut, sind folgende:

1.         Die Studie hat aufgrund der angewandten Methodik und des verwendeten Materials Gültigkeit.

2.         Weder Verunreinigungen noch Fremdstoffe können die Testergebnisse beeinträchtigt haben.

3.         Steviosid wird im menschlichen Verdauungstrakt in derselben Weise zu Steviol abgebaut wie im Verdauugstrakt von Ratten.

4.         Steviol wird durch normale Verdauungsvorgänge teilweise oder ganz absorbiert.

5.         Steviol kommt mit dem metabolismusfördernden Agens in den Mikrosomen der Leber in direkten Kontakt.

6.            Steviol wird nicht in andere unschädliche Metaboliten oder Glykoside umgewandelt.

Ich selbst wage zwar nicht, die erste Voraussetzung in Frage zu stellen, aber ein Forschungsteam in England tat das. In einer kurzen Mitteilung, die ich im August 1990 erhielt, stellten Forscher von der Abteilung für Zellmutationen an der Universität Sussex in Brighton einen Verfahrensfehler in den Studien der Universität Illinois fest. Der Fehler unterlief bei der Zählung der mutagenen Bakterien vor und nach Anwendung der Testsubstanzen und in der Formel, die zur Berechnung des prozentualen Zuwachses an Mutationen eingesetzt wurde. Diesen Forschern und bereits erwähnten früheren Forschungsarbeiten zufolge könnte man mit der Formel, die in der Studie der Universität Illinois eingesetzt wurde genauso gut demonstrieren, »daß destilliertes Wasser mutagen ist.« Bei Anwendung einer korrekten Formel konnten diese Forscher die Mutagenität des oben genannten Steviolmetaboliten ausschließen, wobei Steviol selbst einen unbestimmten Status beibehielt. In ihrer Schlußfolgerung erwähnen sie eine weitere Unstimmigkeit im Zusammenhang mit dem Sättigungspunkt von Steviol in einer Lösung und schlagen vor; »daß es sich lohnen könnte, der Möglichkeit nachzugehen, daß die (angebliche) Mutagenität von Steviol... auf eine Verunreinigung zurückzuführen ist.«

Die Vermutung, es könnte an einer Verunreinigung liegen, verdient Beachtung, da die Gewinnung des reinen Derivats Steviol eine ganze Reihe von Schritten erfordert, darunter auch die Verwendung von L-Butanol, Natriumperjodat und Natriumhydroxid, Siliziumgel und einer Mischung aus Chloroform und Methanol.

Auch die dritte Voraussetzung ist fragwürdig, da bereits frühere Experimente gezeigt hatten, daß Steviosid im Blinddarm der Ratte zu Steviol abgebaut wird. Bei den Menschen jedoch hat der Blinddarm keine Funktion im Verdauungstrakt. Infolgedessen bleibt auch der Metabolismus von Steviosid und Steviol im menschlichen Körper zumindest fraglich.

Dies stellt auch die vierte Voraussetzung in Frage.

Interessant ist die fünfte Voraussetzung. Pezzuto stellte fest, Steviol sei nur in Gegenwart eines metabolismusaktivierenden Agens mutagen, das aus den Mikrosomen der Rattenleber gewonnen wird. Nehmen wir einmal an, der menschliche Verdauungsprozeß könnte etwas Steviol in die Leber befördern, wie sollte es da aktiviert werden? Die Antwort lautet, daß es die intakten Zellwände der Leber durchdringen muß, um zu den Mikrosomen zu gelangen. Und mindestens zwei Studien habe gezeigt, daß Steviosid und seine Metaboliten dazu weitgehend nicht in der Lage sind. Wie es in einer brasilianischen Studie aus dem Jahre 1986 heißt: »Es scheint, daß Steviosid den Adeninnukleotidträger der Mitochondrienmembran in der intakten Zelle nicht angreifen kann, da es die Zellmembran (Plasmamembran) nicht durchdringt.«

Die sechste und siebte Voraussetzung hielt Pezzuto selbst bei der Beurteilung der Ergebnisse seiner Experimente fest. Daß der Körper Selbstschutzmechanismen zur Umwandlung oder Entgiftung schädlicher Substanzen besitzt, steht außer Frage. Höchst fraglich ist jedoch, ob diese Substanzen im Fall von Stevia notwendig sind. Offensichtlich testete Pezzuto die Wirkungen zweier Substanzen, Epoxidhydrolase und Glutathion-s-epoxid-transferase, um die Toxigenizität von Steviol zu verringern. Beide erwiesen sich bei Mäusen als unwirksam. Die bedeutendere Frage, die er aber nicht anspricht, ist doch, warum Schutzmechanismen bei keinem Experiment aktiviert wurden, bei dem den Tieren Stevia, Steviaextrakte oder Steviosid als Großteil ihrer Nahrung zugeführt wurden.

Gestützt auf die besten zur Verfügung stehenden Informationen lautet meine Schlußfolgerung, daß ein Schutzmechanismus deshalb nicht aktiviert wurde, weil er nicht erforderlich war. Kurzum, es hat sich gezeigt, daß Stevia ein unbedenkliches Naturprodukt ist.

Wenn denn der wissenschaftliche Konsens überhaupt etwas bedeutet, so ist sich der Rest der Welt ebenfalls darin einig. Trotz der »Kontroverse um Stevia« ist Stevia in nahezujedem anderen Land der Welt nach wie vor auf dem Markt. Nur die amerikanische FDA nahm es zeitweise vom Markt. Doch heute ist es in den Vereinigten Staaten wieder erhältlich, wenn auch mit Einschränkungen.

Aus David Richard: "Stevia rebaudiana - das süße Geheimnis der Natur", Vedasan GmbH, Aarstrasse 85, 65232 Taunusstein, 1996, 75 Seiten, ISBN 3-9521466-0-9