Harter Crossover plus
Melancholie
Hameln. "Trink von meinen Tränen, ess von meiner Angst..." - nur ein
kleiner Ausschnitt aus einem Songtext der Band "subStyle" aus
Mönchengladbach. Die fünf Bandmitglieder stehen auf Darkness, auf
knallharten Crossover und bringen dann wieder eine Melancholie ins Spiel,
die durch die Worte aus der Feder von Sänger Guido Böckem noch
unterstrichen wird. "subStyle" katapultierten sich im Jahr 2000 gleich
nach Erscheinen ihrer ersten CD "On The Rocks" (Vielklang) spontan auf
Platz neun der deutschen Independent-Charts.
Am Freitagabend hatten die Hamelner die Möglichkeit, diese - man darf sie
wohl so nennen - Ausnahmeband ihres musikalischen Genres live in der
"Sumpfblume" zu hören. Allerdings ließen sich nicht sonderlich viele im
Saal blicken. Schade eigentlich!. Denn, wenn Tobias Schellin aus seiner
Geige Töne herausholt, die zunächst einmal an Synthesizerklänge erinnern,
ist das schon was Besonderes. Eben diese diese Kunst, die Klänge so zu
verfremden, bewahrt die Band davor, in die "Folk Rock"-Schublade gesteckt
zu werden. Denn in die gehören sie wirklich auch absolut nicht hinein! Zum
harten Crossover - von Tobias Schellin als "melodiebetonten Rock-Metal"
umschrieben - lässt es sich jedenfalls gut abtanzen, während die
melancholischen Lieder den Zuhörern eher eine satte Gänsehaut bescheren.
Die Texte beleuchten vor allem die dunklere Seite der menschlichen
Gedankenwelt und behandeln das Gefangensein in unserer Gesellschaft. Genau
diese Stimmung bringen die fünf Jungs auch klasse rüber. Sie verzichten
dabei völlig auf Schnickschnack, ziehen ihr Ding auf der Bühne straight
durch und sehen ihr Publikum auch nicht nur als potentielle Käufer ihrer
CD's, sondern als Leute, die diese Gedanken oft teilen. Ein Kritiker
wertete einen "subStyle"-Titel einmal als Ermutigung zum Selbstmord - wer
weiß schon, was der Mann sonst für Musik hört? Und doch schadet eine
gewisse Robustheit nicht, wenn man ein Konzert von "subStyle" besucht; für
sensible Seelen ist es eher weniger geeignet. Und wenn die Ohren beim
Verlassen des Konzertes stundenlang taub sind, ist das offensichtlich auch
völlig normal.- obwohl Giudo Böckems ausdrucksstarke Stimme bei weniger
Dezibel noch besser zur Geltung käme.
15.4.2002
Der Klügere gibt ... auf
Kaiserhammer - Große Scheite schaffen gemütliche Wärme im Bullerofen des
Tanzsaals von Kaiserhammer - der Verein Kulturhammer hat volles Haus -,
und der schwule Single Volker (Surmann) denkt auf der Bühne darüber nach,
wie er am besten ableben könnte. Sein Musiktherapeut Paul (Schepansky)
soll ihm dabei helfen; der improvisiert Hinterlistiges und Gefühlvolles am
Klavier und macht hie und da einen "kleinen Therapeutenscherz'', um den
ach so Depressiven, der "seine Tränen selbst presst'', aufzumöbeln und zum
"Sich-Öffnen'' zu motivieren.
Angeblich geht es darum, wie Volker seinen Suizid per Badewanne und Fön
organisiert. Aber die Bühne - auf der eine Wanne Platz hätte - ist
verhangen mit pausbackig-rosigen Posaunen- Engelchen, nur der
Hochleistungs-Fön liegt nutzlos auf dem Klavier, und daneben steht das
"Shampoo für den letzten Augenblick'' - "Wash & Go''. Paul lässt Chopins
Trauermarsch anklingen und zelebriert darüber einen schwarzen Walzer á la
Kreisler: "Freu dich auf deinen Tod, so kommt dein Leben ins Lot; sei
bitte nicht eingeschnappt, wenn's nicht beim ersten Mal klappt''.
"Badewanne live oder: Was vom Bade übrig blieb'' heißt das
kabarettistische "Requiem'', zu dem Surmann und Schepansky sich beim
Kulturhammer einfanden. Wortwitz und psychologische Hintergründigkeit
bieten die beiden in gleicher Weise, etwa beim Sprichwörter-Ergänzungs-
Test: "Der Apfel fällt nicht weit... sondern runter'', "Selbsterkenntnis
macht... noch keinen Sommer'' - "Der Klügere gibt... auf''. Ein
Rollenspiel zum Thema Liebe in fünf Sätzen, allerlei Geständnisse und
Erkenntnisse über sargartige Beziehungs-Kisten oder das amouröses Burn-out
("Abgebrannte Brennstäbe der Liebe'') führen zu Schlüssen wie: "Liebe
vergrault, Liebe verfault, Liebe verrinnt, eh sie beginnt.''
Das lässt sich noch steigern; "Aktive Imagination'' heißt das
Therapeuten-Zauberwort, und Volker legt los mit überzeugender
Körpersprache, indem er sich die Folgen seines Selbstmordes ausmalt, von
der Volker-Surmann- Gasse bis hin zur Selig-/Heilig- Sprechung des ersten
schwulen Protestanten durch den Papst. Aber da er keine Badewanne hat,
wird's nix damit, und den Therapeutenratschlag "Wie wär's mit einer
Überdosis Placebos?'' schlägt er auch in den Wind. Die Vorstellung von
Gottes verschiedenen Himmeln für Menschen, Katzen und Brontosaurier, die
Frage nach letzten Dingen wie dem Licht am Ende des Tunnels und dem Film
"Das war mein Leben'' enden ähnlich: "Peinlich, peinlich!''. Und der
Schluss aus dem allen ist: "Das darf doch nicht wahr sein!''
Dem setzt dann die Zugabe nach herzlichem Beifall die Krone ins Gesicht:
"Mein Leben flüchtete vor mir...'' - "... sogar der Tod lief vor ihm
weg.'' Ja, nicht einmal das "Weg'' ist noch ein Ziel, da gibt's nur eins:
"Ich überleb'!'' Das tat die Hörerschaft mit viel Vergnügen.
17.4.2002
Psychoterror am Arbeitsplatz: Vom
Bürotratsch zum Mobbing
Expertin informierte über Ursachen, Folgen und Lösungen
Für die einen ist es eine Lapalie, ein
bisschen Ärger im Büro, Stress mit den Kollegen. Für andere wiederum ist
eine persönliche Katastrophe, sie werden seelisch und körperlich krank,
sehen als einzigen Ausweg häufig nur noch den Selbstmord. Die Rede ist von
Mobbing, einem Phänomen, das immer mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit
rückt.
Walsrode. Wo fängt Mobbing an? – Ist
Bürotratsch schon Mobbing? – Bilde ich mir das alles nur ein? Diese Fragen
beschäftigten die Besucher der Informationsveranstaltung des Walsroder
Kontakt- und Informationsclub (K.I.C.) am Dienstagabend in der Gaststätte
Eckernworth. Doch eine Differenzierung ist selbst für eine Expertin wie
Beate von Eisenhardt-Rothe, Leiterin der Mobbingberatungsstelle Hannover,
schwierig. Es gibt keine einfachen Antworten – genauso wenig wie es
einfache Opfer-Täter-Zuweisungen gibt. „Die Mobber sind sich häufig gar
nicht bewusst, was sie tun. Auf der anderen Seite spielt der Gemobbte
unbewusst oftmals genau die Rolle, die der Mobber erwartet.“
Die Grenzen zwischen Ärger mit den Kollegen oder Vorgesetzten („Bossing“)
und systematischen, die berufliche Identität und persönliche Würde
zerstörendem Psychoterror ist fließend, da es sich in den meisten Fällen
nicht um konkrete Angriffe, sondern um non-verbales Verhalten handelt.
Schnell sichtbar werden allerdings die Folgen: „Bereits nach einer Woche,
wenn ein Kollege beispielsweise nicht mehr mit einem geredet hat, treten
die ersten psychischen Beschwerden auf“, weiß die Expertin.
Häufig ist Mobbing eine Folge von mangelnder Führung und Fürsorgepflicht
der Vorgesetzten, so die Erfahrung der Beraterin. „Führungskräfte müssen
Konflikte lösen können.“ Vorgesetzte und Firmenleitung müssten dafür
sorgen, dass fachliche Kritik nicht zu einem persönlichen Kleinkrieg
werde, der sich nur noch gegen die Person richte und nichts mehr mit der
eigentlichen Arbeit zu tun habe. „Schließlich ist Mobbing auch ein
Kostenfaktor: Dreht sich alles nur noch um Mobbing, arbeiten alle
Beteiligten ineffektiv, die Produktivität und die Qualität der Arbeit
sinkt, der Krankenstand nimmt zu.“
Den anwesenden Betroffenen gab Beate von Eisenhardt-Rothe keine konkreten
Tipps („Es gibt viele Lösungsmöglichkeiten“), riet jedoch, sich auf alle
Fälle an professionelle Beratungsstellen zu wenden. „Von Rezeptliteratur
halte ich gar nichts.“
17.4.2002
Eine schillernde und zwiespältige
Gestalt
Frieder Breymayer und Claudia Altenburger
stellen Leben und Werk von Hermann Hesse vor
Oberndorf. In der Buchhandlung Altenburger ging es dieses Mal um einen
schillernden und sehr zwiespältigen Dichter, um die Konfrontation von
Geist und Natur, die das Grundthema seines Lebenswerks ist: Vor 125 Jahren
wurde Hermann Hesse in Calw geboren, und Claudia Altenburger und Frieder
Breymayer erzählten und lasen über sein Leben und aus seinem Werk.
Während sich Breymayer ausschließlich mit dem Roman "Unterm Rad" befasste,
der Geschichte eines hochsensiblen Jungen, der an der bürgerlichen
Gesellschaft zerbricht, sprach Claudia Altenburger über die pietistische
Familie des Autors, über seine verschiedenen Stationen nach seiner Geburt
1877 in Calw, die Aufenthalte in Tübingen und Basel, die Zwischenstationen
in Italien und Indien, seinen Tod 1962 in Montagnola. Sie erwähnte auch
den Tod der Mutter, den Vater-Konflikt und die drei Ehen des
Literatur-Nobelpreisträgers.
Frieder Breymayer las aus dem 1906 erschienenen Entwicklungsroman,
kommentierte, gab Hintergrundinformationen. Die Gestalten des Calwers Hans
Giebenrath und seines Seminar-Kollegen Hermann Heilner wurden lebendig,
die beide in gewisser Hinsicht autobiographische Züge des Autors tragen.
Breymayer sprach von der Liebe des ehrgeizigen jungen Calwers zu den
heimischen Gebäuden, Brunnen, Landschaften, zu den Alkoholikern und den
"Gestrauchelten". Und im Gegensatz dazu schilderte er die anderen Kreise
im "alten Nest" Calw, die "tüchtige Bürger sind, aber noch nie ein Genie
hervorgebracht haben", für die Hans Giebenrath, sobald er die Schule
verlässt, genau wie Hesse seinerzeit, nur noch ein Taugenichts ist.
Symptomatisch die Anmerkung Claudia Altenburgers, als Lehrling in der
Tübinger Buchhandlung Heckenhauer sei Hesse vorgehalten worden, er sei
hier, um Bücher zu verkaufen, nicht um Bücher zu schreiben. Zum einen
wurde die Skepsis Hesses gegenüber dem romantischen Kultur- und
Künstlerideal deutlich, zum anderen sein aggressives persönliches
Bekenntnis, beeinflusst von der Psychoanalyse eines Freud und Jung.
Hand in Hand mit dem letzten Abschnitt des Romans, den Breymayer
vorstellte, wo es um die Todesgedanken des Hans Giebenrath geht, um einen
letzten Besuch an den Orten der Kindheit und eine erste zaghafte Begegnung
mit der Liebe und schließlich um den Freitod des jungen Mannes, sprach
Claudia Altenburger von der Ahnung Hesses um eine "untergehende Kultur",
um den unmittelbar bevorstehenden Krieg und Untergang. Und davon, wie
Hesse den Krieg "wie ein knorriger alter Baum" überdauert hatte und zur
Kultgestalt und zur Legende wurde - durch seinen "Steppenwolf" auch für
die Hippie-Bewegung.
Claudia Altenburger und Frieder Breymayer sind ein eingespieltes Team.
Seit vier Jahren liest der Literaturliebhaber und hauptamtliche Pfarrer in
der Oberndorfer Buchhandlung, und seit vier Jahren begleitet ihn Claudia
Altenburger mit biographischen Notizen zum jeweiligen Autor. Dass sich die
Buchhandlung bis in den letzten Winkel füllte und die Sitzgelegenheiten
ausgingen zeigte, dass die Veranstaltungen beliebt sind.
18.4.2002
Ein Freundschaftsdienst mit Todesfolge
Wie es Ralf S. gelang, seine Geliebte und einen Kumpel dazu zu bringen,
ihn zu erschießen–ein Beziehungsdrama in Bayern
Augsburg, 17. April – Ralf wollte „Out of the dark “ hören, von Falco: Ich
bin bereit, denn es ist Zeit / für unsren Pakt über die Ewigkeit ... Das
weiße Licht kommt näher, Stück für Stück / Muss ich denn sterben um zu
leben? Sylvia wünschte sich „Sweet Gwendoline“ von den „Ärzten“: Mein
Schatz, Du machst mich so verrückt, Du bist so gut zu mir / Solange du
mich fesselst, bleibe ich bei Dir. Ralf saß im Sessel, den Hinterkopf
genau vor der Mündung der Maschinenpistole, die auf einem zweiten Sessel
zwischen Polster und Lehne geklemmt war. Sylvia H., 23, kniete auf dem
Boden neben Ralf. Hinter der MP stand Markus F., 32. „Ralf sagte: ,Tu’s
doch, tu’s doch‘“, berichtet Sylvia. „Markus sagte: ,Ich brauch ein klares
Ja.‘ Ralf sagte ,Ja‘.“ Es machte „plop“, und nichts passierte. „Ich hörte
Markus sagen: ,Scheißteil, Ladehemmung‘.“ Markus gab Ralf eine neue
Patrone, Ralf legte sie selbst ein und setzte sich wieder in Position.
Sylvia erzählt weiter: „Ich hab gesagt: ,Ich will nicht, dass du das tust.
Ich liebe dich doch.‘ Ich hab’ ihn geküsst, und ich hab’ versucht, meine
ganzen Gefühle in diesen Scheißkuss reinzulegen. Markus sagte noch einmal:
,Ich brauch ein klares Ja‘. Ralf sagte wieder ,Ja‘, fest und bestimmt,
kein bisschen zittrig.“ Markus drückte zum zweiten Mal ab. Diesmal gab es
keine Ladehemmung.
Ein Beziehungsdrama, an dessen Anfang der Selbstmordversuch einer jungen
Frau stand und das mit dem selbst gewählten Tod des 20 Jahre älteren
Mannes endet. Ralf S., 42 Jahre alt, in zweiter Ehe verheiratet, Vater von
zwei Söhnen, sechs und 18 Jahre alt. Ein Macho, ein Alkoholiker, ein
Frauenheld. Seine erste Ehefrau hat er verlassen wegen der zweiten, die
zweite hat ihn verlassen, weil er nicht aufhören konnte zu trinken. Sonja
S., 32, schildert als Zeugin vor dem Augsburger Landgericht das
zermürbende Auf und Ab ihrer Ehe mit Ralf. „Er war wahnsinnig
leidenschaftlich, er konnte toll kochen, er hat den Haushalt geschmissen,
er machte unheimlich viel mit dem Kind. Und dann konnte es kippen,
irgendwas hat ihn verletzt, dann fing er an zu trinken, dann machte er
Sachen, von denen er am nächsten Tag nichts mehr wusste. Ich war oft
wahnsinnig wütend auf ihn. Ich sagte: Du kannst gern weitertrinken, aber
nicht mit mir.“
Am 18. März 2000, Sonjas 30. Geburtstag, war es mal wieder so weit, und
gerade an diesem Abend war auch Sylvia als Gast auf der Geburtstagsparty.
Sie hatte am Abend vorher eine schwere Enttäuschung mit einem Freund
erlebt und wählte diesen Rahmen, um ein paar Hände voll Tabletten zu
schlucken, die sie gehortet hatte. Eine psychisch höchst labile Frau,
Tochter einer Psychotherapeutin und eines Pfarrers, der sie, als sie zehn
Jahre alt war, sexuell missbraucht hatte. Sie leidet an einer seltenen
Erbkrankheit, dem Hippel-Lindau-Syndrom; an vielen Stellen in ihrem Körper
wachsen Tumore, meist gutartige, aber man weiß es nie. Als sie elf war,
musste die Nebennierenrinde entfernt werden, mit 20 wurde sie an den Augen
operiert, und bei der Untersuchung war gleich noch eine Geschwulst im
Gehirn entdeckt worden.
An jenem Abend also versuchte sie, sich mit Schlaftabletten das Leben zu
nehmen. Drei Tage später, im Bezirkskrankenhaus, kommt Ralf zu Besuch.
„Ich war wahnsinnig froh, ihn zu sehen. Irgendwann hat er gesagt: ,Ich
liebe dich‘. Dann hat er gesagt, Sonja habe ihn rausgeworfen, er könnte
doch zu mir ziehen. “ Sylvia lässt sich mit Haut und Haaren auf Ralf ein.
Sie lebt im siebten Himmel. „Wenn ich ihn gesehen habe, zählte nichts
anderes mehr. Ich schaute zu ihm auf. Er hat mir eine Rolle gegeben. Ich
hab’ auf einmal eine Identität gehabt.“ Einmal sagt sie zu ihm sie wolle
mit ihm sterben. „Er sagte: Das kann er organisieren. Er fährt nach
Frankfurt und besorgt Heroin. Das war nicht ganz das, was ich meinte. Ich
meinte: Ich will mit ihm zusammen alt werden.“
Das reine Glück dauert nur drei Monate. Ralf zieht wieder zu seiner Frau
zurück, er macht Schluss mit Sylvia, aber er fängt gleich wieder an. Er
führt jetzt ein Doppelleben. Fast täglich trifft er sich mit ihr, abends
in der Augsburger Bahnhofskneipe. Sie erlebt ihn fast ausschließlich
betrunken. Rückblickend sieht sie ganz klar, dass sie ausgenutzt worden
ist. „Ich war halt gut für ihn, weil ich seine Zigaretten und seine
Telefonrechnung bezahlt habe, weil ich nichts dagegen hatte, dass er
trinkt. Aber ich hatte Angst, so was zu sagen. Ich hatte Angst, dass er
sagt, geh einfach, und das hätte mir das Herz gebrochen.“
„Bye, bye, Baby“
Anfang des Jahres 2001 macht sie sich wieder Hoffnung: Ralfs Frau ist
ausgezogen. „Ich dachte, jetzt können wir ein gemeinsames Leben anfangen.“
Im April erzählt sie ihm von ihrem Hirntumor. „Er sagte, er würde mich nie
verlassen.“ Aber in Wirklichkeit hängt Ralf noch immer an seiner Frau. Er
ruft sie an. Er verbringt die Osterfeiertage mit ihr. Er schickt ihr
täglich SMS-Botschaften. Am 30. April ist Sonja S. mit Freunden beim
Tanzen, er mailt: „Bist du bei ’nem anderen Mann?“ Sie mailt zurück:
„Nein, nur tanzen. “ Am nächsten Tag, dem 1. Mai, kommt eine SMS nach der
anderen: „Du hast ’nen anderen“, „Du bist bei ihm“. Abends ruft sie ihn
wütend an und sagt: „Du bist betrunken. Leg dich hin, werd nüchtern.“ Er
sagt: „Bye, bye, Baby.“ Dann kommt noch eine SMS: „Warum hasst du mich
eigentlich?“
Das ist der Abend, an dem er Sylvia und seinen Freund Markus F. zu sich
bestellt. Markus und Ralf verbindet eine gemeinsame Leidenschaft: Waffen
aller Art. Aber Markus ist kein Macho und kein Frauenheld, er ist ein
gehemmter, schüchterner, unglücklicher Einzelgänger, und Ralf ist sein
einziger Freund. Seit seiner Kindheit plagen Markus Zwangsvorstellungen
von drohenden Katastrophen, mehrere Therapieversuche brachten keine
Besserung. Er hatte noch nie eine Frau, er lebt im Haus seiner Mutter, die
Waffen, die er sich auf Flohmärkten zusammenkaufte, versteckte er in einer
Truhe. Er war psychisch in ähnlicher Weise von Ralf abhängig wie Sylvia.
„Ralf musste nur mit dem Finger schnippen, dann kam Markus gelaufen“, sagt
ein Zeuge. Und genau so wie Sylvia hat Markus Angst, seinem Freund etwas
abzuschlagen. „Ich wollte nicht das Gefühl bekommen, ihn im Stich zu
lassen“, lässt er von seinem Verteidiger vortragen.
Ralf spielt diese Abhängigkeit aus an jenem verhängnisvollen Abend. Er
erzählt ihm, Sonja, seine Frau, habe einen neuen Freund, sie habe ihm
verboten, den gemeinsamen Sohn zu sehen. Nichts davon ist wahr. „Ich käme
nie auf so einen Gedanken“, sagt Sonja S. vor Gericht. Aber Ralf hat sich
unrettbar in seinen Weltschmerz hineingesteigert. Er verlangt von Markus,
er solle ihn erschießen. „Als ich es ablehnte, die Waffe zu holen,
erklärte er mir, dass ich nicht mehr sein Freund sein könne, wenn ich ihm
diesen Gefallen nicht täte“. Also holt Markus die zerlegte Sten Mark 2 aus
Ralfs Tresor, gemeinsam bauen sie die Waffe zusammen, Ralf schneidet mit
seinem Samuraischwert ein Stück Kabel ab, das am Abzug befestigt wird,
damit es wie Selbstmord aussehen soll. Er lässt sich von Sylvia rasieren,
er zieht sich schwarze Jeans, einen weißen Rolli und ein schwarzes
Lederjackett an. Sylvia glaubt immer noch, sie könne ihm den Todeswunsch
ausreden. Er hat ja schon so oft vom Sterben geredet, und sie hat es immer
geschafft. Diesmal schafft sie es nicht. Ralf legt Falco auf. Kein Weg
zurück / Das weiße Licht kommt näher, Stück für Stück.
Die Staatsanwaltschaft hat Markus F. wegen Totschlags und Sylvia H. wegen
Beihilfe zum Totschlag angeklagt. Am Donnerstag soll das Urteil ergehen.
18.4.2002
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