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Mit Topf-Schnitt und Kutte
Ein Brite auf Deutschland-Tournee: Joseph Fiennes steht als Martin Luther vor der Kamera

Berliner Zeitung
19. Juni 2002
Von Mariam Schaghaghi


MÜNCHEN, im Juni. Eignet sich Martin Luther als Hollywood-Held? Ungewöhnlich genug war sein Lebensweg allemal. Ein angehender Jurist, dem ein Blitzschlag die Eingebung brachte, Mönch zu werden. Ein Mönch, der sich lauthals über die Bestechlichkeit der kirchlichen Fürsten empörte. Der sich dann vor dem Papst und der Welt verstecken musste. Der die lange Zeit seines Exils damit verbrachte, die Bibel ins Deutsche zu übersetzen.

"Es bleibt kaum Zeit"

Joseph Fiennes spielt Martin Luther. Der Schauspieler, den man unter anderem aus Shakespeare in Love kennt, steht seit April vor der Kamera. Dunkelblond ist sein Haar gefärbt, er hat einen denkbar unattraktiven Topf-Schnitt samt Tonsur und trägt eine dunkle Kutte. Die Dreharbeiten führten den 31-Jährigen bisher nach Coburg, Eisenach, Seßlach und Erfurt. In München-Grünwald, im Studio 12 der Bavaria Filmstudios, sind nun gerade die Atelieraufnahmen beendet worden. Hier hat der Filmarchitekt Rolf Zehetbauer die Lutherstube auf der Wartburg und die Gebetszelle im Erfurter Kloster nachgebaut.

Fiennes hat während seiner Deutschland-Tournee nicht allzu viel von den Originalschauplätzen gesehen, sagt er. "Ich bin zum ersten Mal in Bayern. Ich kannte weder München noch Coburg oder Seßlach. Wenn ich mal irgend etwas zu sehen bekommen habe, gefiel es mir außerordentlich gut. Aber ich stehe fast vor Sonnenaufgang auf, und ich gehe nach Sonnenuntergang schlafen - es bleibt kaum Zeit außerhalb der Dreharbeiten. Trotzdem genieße ich es, mal aus London herauszukommen."

Der "Luther-Film führt den Briten noch nach Italien und nach Tschechien, wo die Außenaufnahmen gedreht werden. Anfang Juli sollen die Dreharbeiten abgeschlossen sein. Und im Herbst nächsten Jahres soll die 120-minütige Filmbiografie im Kino zu sehen sein. Die deutsche Produktion ist auf etwa 20 Millionen Dollar budgetiert; Regie führt der Kanadier Eric Till. Er sagt: "Wir haben es hier mit einer enorm komplexen Geschichte zu tun. Luther ist ein wunderbarer Stoff. Und man ist immer traurig, dass man nicht alles im Film unterbringen kann. Aber wir wollen Kino machen, das heißt, wir müssen den Inhalt spannend transportieren." Daher haben sich die Drehbuchautoren Camille Thomasson und Bart Gavigan auf den jungen Luther konzentriert, auf den Lebensabschnitt von 18 bis 46 Jahren, in dem er seinen persönlichen Kampf mit Gott ausficht und zugleich die politischen und religiösen Autoritäten seiner Zeit herausfordert.

Natürlich darf in einem solchen Film auch die Liebe nicht fehlen. Die britische Schauspielerin Claire Cox spielt Katharina von Bora, "das beste Weib", das Luther sich wünschen könnte. Sie schenkt ihm sechs Kinder, braut Bier und baut das Kloster zu einem gemütlichen Heim für Familie, Studenten und Gäste aus. "Als er Katharina begegnet, ist Luther an einem Tiefpunkt", berichtet Joseph Fiennes. "Die Liebe kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Sie ist für ihn wie ein Sonnenstrahl, der plötzlich sein Leben erhellt." Regisseur Eric Till fügt zufrieden hinzu: "Sie müssten das Leuchten in Josephs Augen sehen, wenn Claire die Bühne betritt."

Fiennes erzählt, dass ihn die Dreharbeiten bewegt haben: "Was mich an Luther berührt hat, sind seine Widersprüchlichkeit und seine Verletzbarkeit. Und sein problematisches Verhältnis zu seinem Vater und Gottvater. Ich glaube, er wollte gar nicht streitbar sein und die Autorität des Papstes in Frage stellen. Diesen Widerspruch liebe ich besonders: dass er die Kirche in die Knie zwingt, obwohl er nie die Absicht hatte, das zu tun."

Das wunderbare Fest WM

Während der Dreharbeiten hat Schauspieler Joseph Fiennes natürlich auch über seinen eigenen Glauben nachgedacht. "Daran kommt man wohl nicht vorbei, wenn man diesen Menschen verkörpert", sagt er. "Für mich habe ich festgestellt, dass der Glaube in meinem Leben eine große Rolle spielt, die Religion gar keine. Genau so wenig wie Dogmen. Ich sehe mich als Agnostiker, habe also keine Glaubensrichtung."

Eine hat der Schauspieler dann doch. "Fußball ist meine Religion und meine Kirche, ich bin verrückt danach. Warum auch nicht? Die WM ist ein wunderbares Fest."


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