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Moselländische Ortsnamen als jüdische Familiennamen

von

Gregor Brand



I. Jüdische Familiennamen und deutsche Ortsnamen - Vorbemerkungen

Im Rahmen der jüdischen Familiennamen nehmen die toponymischen, also diejenigen, die auf Ortsnamen zurückgehen, einen erheblichen Teil ein; innerhalb dieser Gruppe sind wiederum diejenigen stark vertreten, die sich auf Städte und Dörfer im deutschsprachigen Raum beziehen.   Zahlreiche aus dem Judentum hervorgegangene bedeutende Persönlichkeiten haben durch ihre Namen gerade deutschen Dörfen und Städten in gewisser Weise geistige Denkmäler gesetzt.  So ist beispielsweise der Name der Rheinstadt Oppenheim durch viele jüdische Namensträger Oppenheim oder Oppenheimer vielen Menschen weltweit vertraut.  Oppenheim war - und ist - nicht nur der Name mancher berühmter Rabbiner (z. B. des Prager Oberrabiners David Oppenheim, 1664 - 1736), bedeutender Finanzleute (z. B. des 1703 gestorbenen „Judenkaisers“ Samuel Oppenheimer), Künstler (z. B. des Malers Moritz Oppenheim, 1800 - 1882) und eminenter Wissenschaftler (z. B. des Atomphysikers Robert Oppenheimer, 1904 - 1967), sondern darüber hinaus zahlreicher anderer Persönlichkeiten, die in ganz unterschiedlichen Bereichen hervorgetreten sind.  

Wohl etwas weniger verbreitet als die Oppenheim-Familiennamen, aber nicht weniger bedeutend, sind auch andere jüdischer Familiennamen dieser Art. Berühmt geworden ist etwa in der jüdischen Welt und weit darüber hinaus durch die Abstammung von einem illustren Rabbiner der Name des zwischen Koblenz und Wiesbaden gelegenen Ortes Katzenelnbogen. Zu den rund 25 000 dokumentarisch erfassten Nachfahren des 1482 in diesem Dorf geborenen Rabbiners Meir Katzenellenbogen (gest. 1565 in Padua), des sogenannten Maharam von Padua, zählen nicht nur zahlreiche Namensträger Katzenellenbogen, sondern auch Familien wie Katzenellenpogen, Katzenelson, Nelson, von den Zehntausenden, die über weibliche Linien vom Maharam abstammen (z. B. die Philosophen Karl Marx oder Moses Mendelssohn) ganz zu schweigen (Rosenstein 1990). Desweiteren könnte man hier die Familie Landau nennen, die - wie viele gerade der berühmtesten und teilweise ältesten jüdischen Familien - in den ersten Generationen mit den Namen herausragender Rabbiner verbunden ist (hier z. B. der Prager Oberrabbiner Ezechiel Landau, 1713 - 1793), die aber dann in den vergangenen beiden Jahrhunderten in großer Zahl auch auf anderen Gebieten hervorgetretene Persönlichkeiten größter Begabung hervorgebracht hat (z. B. den Physiknobelpreisträger Prof. Lew D. Landau, 1908 - 1968, oder den Zahlentheoretiker Prof. Edmund  Landau, 1877 - 1938). Abschließend für viele andere Beispiele jüdischer Familiennamen, die auf deutsche Orte zurückgehen, seien hier noch die Nachkommen des Rabbiners Samuel Speyer (um 1400)  genannt. Auf diesen, einen der angesehensten Talmudisten seiner Zeit, gehen die meisten Familien Schapiro, Schapira, Spira, Spiro zurück.   

Für die Verwendung von Ortsnamen als jüdischen Familiennamen lassen sich zwei Hauptentstehungsgründe unterscheiden. In dem einen Fall verhält es sich wie bei christlich-deutschen Familiennamen, die auf Dörfer und Städte zurückgehen (z. B. „Adenauer“): Die Namen zeigen an, dass der Namensträger oder seine Familie ursprünglich aus dieser Ortschaft stammt. Sehr häufig kam es vor, dass jemand, der aus seinem Ort abwanderte, in der „Ferne“ - die auch nur 5 km betragen konnte - , nach seinem Herkunftsort benannt wurde und dieser Name dann in den folgenden Generationen beibehalten wurde. Diese Praxis hat es auch bei der Bezeichnung jüdischer Familien häufig gegeben. Im Judentum kam jedoch noch ein weiterer Ursprung hinzu: Nicht selten wurde ein bedeutender Rabbiner nach dem Ort seines Wirkens benannt und seine Nachkommen haben dann den Namen, unter dem ihr Vorfahre bekannt wurde, gelegentlich beibehalten. Ein Beispiel für die Benennung nach dem rabbinischen Tätigkeitsort findet man etwa bei dem aus Metz stammenden Landesrabbiner und Autor Joseph Bonn (gest. 1715), der in der Literatur meist nur bekannt ist als „Joseph Stadthagen“, wobei hier Stadthagen die Stadt ist, in der er jahrzehntelang als Rabbiner amtierte (Brand 2000). Gerade die häufigere der geschilderten Varianten - die Benennung nach dem Herkunftsort - erlaubt es, aus den Namen Rückschlüsse darauf zu ziehen, wo jüdische Familien gelebt haben. Manchmal sind es sogar ausschließlich Familiennamen, die davon Zeugnis ablegen, dass in einer bestimmten Ortschaft einmal Juden gelebt haben. So kann die Untersuchung der Familiennamen einen Beitrag zur Erforschung der Geschichte der jüdischen Besiedlung liefern.
 
II. Jüdische Familiennamen mit moselländischem Bezug

1. Jüdische Familien im moselfränkischen Raum


Eine sehr wichtige Quelle für jüdische Familiennamen mit moselländischem Bezug sind die Dokumente, die sich auf die lothringische Stadt Metz beziehen. Dies liegt einerseits daran, dass Metz sich seit dem 17. Jahrhundert wieder - neben Trier - zu einem Zentrum jüdischen Lebens im Moselraum entwickelt hatte (Meyer 1993), andererseits hängt es auch damit zusammen, dass die Geschichte dieser wichtigen jüdischen Gemeinde besonders gut erforscht und dokumentiert ist. In den jüdischen Heiratsregistern von Metz beispielsweise findet man Namen, die eindeutig auf das Moselgebiet allgemein und teilweise sogar speziell auf den Mittelmoselbereich mit seinem Zentrum Bernkastel verweisen.
 
Da ist zunächst der Name Bernkastel (oder auch Berncastel, die Schreibweise variiert) selbst. Der erste Bernkastel, von dem Näheres bekannt ist, war Jakob Nathan Bernkastel. Geboren wohl um 1736 in Trier-Maar als Sohn des ebenfalls aus Trier-Maar stammenden Nathan Mayer Bernkastel (C. Kasper-Holtkotte 1996), gehörte er in in den letzten Jahrzehnten des 18. und in den ersten des 19. Jahrhunderts zu den führenden Persönlichkeiten der Trierer jüdischen Gemeinde, deren Vorsteher und Einnehmer er über viele Jahre hin war. Um 1800 war er der weitaus wohlhabendste der Trierer Juden. Sowohl sein Ansehen in der Gemeinde als auch seine herausgehobene wirtschaftliche Stellung sprechen dafür, dass seine Familie auch schon in früheren Generationen zur jüdischen regionalen Oberschicht zählte. Jakob Nathan Bernkastels Großvater war vermutlich Mayer Bernkastel, von dem zwei Töchter in Metz geheiratet haben: Mayer Bernkastels Tochter Sorkié heiratete 1729 Salomon Isaac, ihre Schwester (oder Halbschwester) Goutal Bernkastel vermählte sich mit Jacob Lion Levy. Mayer Bernkastel, der älteste bisher bekannte Stammvater dieser Familie, ist vermutlich um 1680 geboren und hat wahrscheinlich in Trier gelebt. Möglicherweise wurde er selbst in Bernkastel geboren, wo es zu dieser Zeit eine nicht unbedeutende jüdische Gemeinde gab, die sogar über einen eigenen Rabbiner verfügte. Sein Name lässt jedenfalls eindeutig erkennen, dass er aus diesem Hauptort der Mittelmosel stammte, auch wenn seine Familie eventuell schon ein oder zwei Generationen lang in Trier lebte. Vielleicht handelt es sich bei dieser Bernkasteler Familie um Nachfahren derjenigen vermögenden jüdischen Bürger von Bernkastel, denen es in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts gelungen war, sich durch hohe Schutzgelder zumindest für längere Zeit als in anderen Orten den Aufenthalt zu sichern (Schmitt 1991).
 
Ein Sohn Jakob Nathan Bernkastels war der Arzt Dr. Lion Bernkastel (Kasper-Holtkotte 1993). Um 1770 in Trier geboren, immatrikulierte sich Lion Bernkastel 1794 für ein Medizinstudium zunächst in Berlin und wechselte dann zur renommierten Universität Jena. Die jenaische Universität galt insbesondere im Bereich der Chirurgie - mit dem Schwerpunkt Geburtshilfe - als führend in den deutschen Landen, und Bernkastel konnte dort bei den Kapazitäten dieses Faches studieren. Von dem hoch angesehenen Arzt Hufeland wurde er in die „Jenäisch-medizinisch-chrirurgische Gesellschaft“ aufgenommen, was für einen Juden damals sehr ungewöhnlich war; in Berlin durften Menschen jüdischen Glaubens zu dieser Zeit noch nicht einmal promovieren. Nach seinem erfolgreich abgeschlossenen Studium sammelte Dr. Bernkastel praktische Erfahrungen in der Geburtshilfe in Kliniken in Würzburg, Bamberg und Wien, ehe er wieder nach Trier zurückkehrte. Er entwickelte sich in diesen Jahren zu einem Vertreter der neuen Geburtshilferichtung, die dem Einsatz von operativen Methoden sehr positiv - vielleicht zu positiv - gegenüberstand und die den Einfluss nicht akademisch ausgebildeter Ärzte und Hebammen zurückdrängen wollte. Trotz der oft recht heftig ausgetragenen Konkurrenz innerhalb der Trierer Ärzteschaft gelang es Lion Bernkastel, sich erfolgreich in seiner Heimatstadt zu etablieren. Er hatte enge Kontakte mit Heinrich Marx, dem Vater von Karl Marx, und trat schließlich wie dieser zum Christentum über. Im Gegensatz zur marxschen Familie schloss sich Bernkastel aber nicht dem Protestantismus an, sondern wurde Katholik. Einem Enkel von ihm, dem Priester Franz Joseph Michel Bernkastel (1827 - 1890), wurden bei seinem Tod große Gelehrsamkeit und Wohltätigkeit gegen Arme und Kranke nachgerühmt. Nachkommen von Dr. Lion Bernkastel leben heute in mehreren Kontinenten.     

Ein anderer Sohn Jakob Nathan Bernkastels war der wohlhabende Mayer Nathan Bernkastel. Wie sein Vater betätigte er sich als Kaufmann und übte wichtige Funktionen in der Trierer Judenschaft aus. So war er unter anderem Notabler und gehörte 1806 zu den trierischen Vertretern im berühmten Grand Sanhedrin zu Paris. Im Gegensatz zu seinem Bruder Lion gab er nie seine Bindung zum Judentum auf. Genealogisch besonders bedeutsam ist der Umstand, dass Mayer Nathan Bernkastel ein Ahnherr von Marcel Proust (1871 - 1922) ist, der zu größten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts gezählt wird. Nathan Mayer Bernkastels Enkelin Adéle Amelie Berncastel, verheiratet mit Nathan Weil, wurde die Großmutter des berühmten Verfassers des monumentalen Romanwerkes „À la Recherche du Temps perdu“ (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit). Die genealogische Verbindung des illustren Autors zur Familie Bernkastel - und damit zum Judentum auch der Mittelmoselregion - scheint der deutschen Bernkastel-Forschung bisher entgangen zu sein. So erwähnt C. Kasper-Holtkotte zwar manche Verwandten und Nachkommen der Bernkastel-Familie - bis hin zu Philippe Landau, der als Archivar des jüdischen Zentralkonsistoriums in Paris arbeitet - , aber es findet sich bei ihr kein Hinweis auf den erwähnten berühmtesten Nachfahren der Bernkastels. Gleichfalls unbekannt dürfte dieser Zusammenhang Annette Haller gewesen sein, der Bearbeiterein der Bernkastel-Artikel im Trierer Biographischen Lexikon (Haller 2000). Dabei ist gerade durch Proust in genealogischer Hinsicht eine ursprünglich an der Mittelmosel beheimatete jüdische Familie in gewisser Weise zu weltliterarischer Bedeutung gelangt. Der Proust-Biograph William Carter (Carter 2000) schreibt über die Berncastels, sie hätten als mächtige und reiche Mitglieder zur jüdischen Oberschicht (haute bourgeoisie) von Paris gehört und seien durch zahlreiche Verbindungen mit Persönlichkeiten der Justiz, der Wirtschaft und der Politik verbunden gewesen. Adéle Berncastel wird von Carter als attraktive und hochgebildete Frau beschrieben, die in den Pariser Salons zahlreiche der größten französischen Geister ihrer Zeit kennenlernte, so etwa die Schriftsteller Alphonse de Lamartine, Alfred de Musset und Victor Hugo oder den jüdischen Komponisten Fromenthal Halévy, dessen Enkel, der berühmte „Carmen“-Komponist Jacques Bizet, später in Verbindung mit ihrem Enkel Marcel Proust stand. Adéle Berncastels Tochter Jeanne, die mit Dr. Adrien Proust verheiratet war, wird als dunkelhaarige, mandeläugige Schönheit von quasi orientalischem Aussehen und außergewöhnlicher Intelligenz beschrieben, was insofern interessant ist, als sie offenbar ihrer Mutter geistig und körperlich sehr ähnlich war, so dass wir auf diesem Umweg auch eine Beschreibung von Adéle Berncastel erhalten, der Enkelin des Trierer Kaufmanns Mayer Nathan Berncastel. Über Marcel Proust hinaus ist die moselländisch-jüdische Familie Berncastel auch noch mit anderen großen Namen der franzöischen Kultur verbunden. So war etwa Louise Neuburger, die Ehefrau des Philosophen und Literaturnobelpreisträgers Henri Bergson (1859 - 1941), ebenfalls eine Nachfahrin von Mayer Nathan Berncastel. 
 
Mit der Familie Jakob Nathan Bernkastels verwandtschaftlich verbunden war eine andere jüdische Familie mit einem moselortbezogenen Familiennamen: die Familie Schweich. Bereits 1634 wird der Jude „Calmann aus Schweich“ in Trier erwähnt (Bungert/Wagner 1999). Er ist als Stammvater dieser später in Trier und Metz sehr angesehenen Familie zu betrachten (Faustini 2001), von der einzelne Mitglieder in Metz auch mit dem Namen Trêves (Trier) bezeichnet werden, was - wie andere Daten mehr (Ginsburger 1903) - auf die Verwurzelung sowohl in Trier als auch in Metz hinweist. Zu dieser Familie gehörten sowohl die Bankiers Lion Schweich und dessen Sohn Mayer, der 1713 eine Tochter des Metzer Bankiers Abraham Worms heiratet, als auch beispielsweise der 1773 gestorbene Callmann Schweich, Vorsteher der jüdischen Gemeinde Trier und Einnehmer des Juden-Leibzolles in Trier (Haller 1993).

Sowohl in der Familie Bernkastel als auch in der Familie Schweich dürfte ein starkes sephardisches Erbe vertreten gewesen. Das heißt: Unter den Ahnen der Schweich und Bernkastel - wie auch zahlreicher anderer Familien im Moselgebiet - haben sich nach aller genealogischen Wahrscheinlichkeit in nicht geringem Umfang Juden befunden, die ursprünglich in Spanien beheimatet waren und nach der dort erfolgten Vertreibung um 1500 in deutsche Lande kamen. Die im 17. Jahrhundert entstandenen und 1913 ins Deutsche übertragenen Memoiren des Ascher Levy aus Reichshofen im Elsaß (Ginsburger 1913) sind hier besonders aufschlussreich. Deren Verfasser Ascher Levy benennt darin über mehrere Generationen die Nachkommen des gelehrten Rabbi Jakob ha-Levi, der als einer der angesehensten Flüchtlinge aus Spanien zu Beginn des 16. Jahrhundert ins pfälzische Landau kam und dort Vorsteher des Rabbinatsgerichts wurde. Die zahlreichen Nachkommen von R. Jakob ha-Levy haben sich gerade auch im Moselland zwischen Koblenz und Trier stark ausgebreitet. R. Jom-Tov Levy, ein Sohn von R. Jakob, ließ sich in Koblenz nieder, und dessen Sohn Leiser heiratete und lebte in Trier. Leiser Levys Nachkommen verbanden sich mit anderen Familien des Trierer Landes; so heiratete beispielsweise sein Sohn Eisik eine Tochter des oben erwähnten Kalmann Schweich. Ascher Levy erwähnt, dass aus dieser letztgenannten Ehe zahlreiche reiche und hochangesehene Söhne und Töchter hervorgegangen seien und es ist durchaus möglich, dass einige von diesen den Namen Schweich getragen haben. Wenn man bedenkt, wie klein die Gesamtzahl der jüdischen Familien zwischen Trier und Koblenz vom 16. bis zum 18. Jahrhundert gewesen ist und berücksichtigt, dass - im Gegensatz zu christlichen Familien - typischerweise alle Kinder, die das Erwachsenenalter erreichten, selbst heirateten und Kinder bekamen, dann wird ersichtlich, dass schon nach wenigen Generationen viele dieser untereinander heiratenden Familien auch über die gemeinsame Abstammung von R. Jakob ha-Levy verwandt gewesen sein müssen. Dies dürfte vor allem für die angeseheneren unter diesen Familien gegolten haben, insbesondere auch für die Familien Schweich und Bernkastel, aber sicherlich auch für andere in dieser Region, etwa in Wittlich, lebende Juden. Vielleicht ist gerade auch in diesem Zusammenhang der Umstand zu beachten, dass sich eine Wittlicher jüdische Familie später Dublon genannt hat, also einen Familiennamen mit spanischen Anklängen wählte. Insofern ist es auch in keiner Weise verwunderlich, wenn man bei Adéle Bernkastel und ihrer Tochter Jeanne Proust, die eben beide in hohem Maße von jüdischen Familien aus dem trierischen und lothringischen Moselraum abstammten, die von Carter erwähnten „orientalischen“ Züge findet, die vielen Sepharden offenbar eigen waren.  Es bleibt festzuhalten, dass man davon ausgehen kann, dass es sich bei den mit unterschiedlichen Namen bezeichneten jüdischen Familien des Mosellandes sicherlich in großem Umfang um durch vielfache Verwandtschaftsverbindungen verbundene Mitglieder einer genealogisch recht homogenen Gruppe gehandelt haben wird.

Um nun wieder im Rahmen der Betrachtung der Familiennamen speziell auf den Landkreis Bernkastel-Wittlich zurückzukommen, so ist festzustellen, dass im Reigen der jüdischen Familiennamen auch die Kreisstadt Wittlich vertreten ist. Den Familiennamen Wittlich finden wir zunächst wieder, wie so häufig, in Metz. In der Liste von 1662 erscheint er in der Form „Marque Vittlique“; es handelt sich bei damit Bezeichneten um Marc Wittlich, der mit seinem hebräischen Namen als „Mordekhai Witlich“ unterschreibt (Faustini 2001) und im Memorbuch der jüdischen Gemeinde Metz „Mardochée Wittlich“ genannt wird (Schwarzfuchs 1971). Er hat eine Tochter des angesehenen Abraham Schwab geheiratet, was dafür spricht, dass er aus einer ebenfalls sozial höher gestellten Familie stammt, die ausweislich ihres Namens aus Wittlich kommt. Von Marc Wittlich ist eine Tochter Minele (gest. 1706) bekannt, die Lion Haguenau aus Metz heiratete. In den Verzeichnissen der Juden von Metz aus dem Jahr 1698 und später kommt der Name Wittlich nicht mehr vor, dagegen gibt es jüdische Namensträger Wittlich des 18. Jahrhunderts aus dem nahe Metz gelegenen Augny, so etwa Fauguelle Wittlich, eine Tochter von Nathan Wittlich, die 1768 in Metz Joseph Bouris Cahen aus Augny heiratet (Fleury 1989). Zu Beginn des 18. Jahrhunderts lebte der aus Wittlich gebürtige Pferdehändler Richard „Vitlick“ im lothringischen Vantoux. Er ist verheiratet mit einer Tochter des Samuel aus Frankfurt am Main (Meyer 1991). Bei dem vorhin erwähnten Nathan Wittlich aus Augny könnte es sich um einen Nachkommen von Richard Vitlick handeln.

Manchmal erscheinen die Namen moselländischen Ursprungs in einer mundartlich geprägten Form, in der sie für den nicht des Moselfränkischen Kundigen nicht immer ohne weiteres richtig zuzuordnen sind. So wird etwa in Metz der Name Bernkastel auch als „Beer Kassel“ notiert; hier ergibt sich aber aus dem Zusammenhang, dass damit eindeutig „Bernkastel“ gemeint ist.  Ein weiteres Beispiel für dialektisch beeinflusste toponymische Personennamen ist  „Pinnerich“, was auf eine Herkunft aus Pünderich verweist und dies gerade durch die mundartlich-moselfränkische Färbung bestätigt. 1773 heiratet in Metz eine Tochter des Karlsruher Rabbiners Nathan Cahen und der Michelette Pinnerich; bereits 1729 heiratete, ebenfalls in Metz, Rosette Pinnerich, eine Tochter von Effraim Groch, den Salomon Levy Fribourg. (Fleury 1989). Ein weiterer dieser Namen ist der ebenfalls in den Heiratsregistern vorkommende Name „Tritem“, hinter dem sich das mittelmoselanische Trittenheim verbirgt. Héva Tritem, Tochter von Lion Tritem aus „Tritem, évêche de Trèves“, heiratete 1749 in Metz Salomon Abraham aus Delme. Lion Tritem selbst war mit Hevesse, einer Tochter von Moses May aus Metz, verheiratet. So zeigt sich auch in diesem Fall einmal mehr die enge verwandtschaftliche Verbundenheit des lothringischen mit dem trierisch-moselanischen Judentum. Zu den von der moselfränkischen Mundart geprägten Namensformen ist schließlich auch der Name „Klessert“ zu zählen, hinter dem der Weinort Klüsserath zu erkennen ist. Gerson Klessert ist 1787 auf dem Landtag in Neumagen Deputierter der obererzstiftischen Juden (Kasper-Holtkotte 1995).

Ein Familienname, der ebenfalls auf einen Ortsnamen an der Mosel zurückgeht, ist Detzem. Der 1749 in Trier geborene Calmann Detzem hatte Maria Cahn (geb. 1750) aus Metz geheiratet, die als Magd in Perl arbeitete. Im Jahr 1805 gehörte Kalmann Detzem zu den Vorsitzenden der Trierer Judenschaft; er war sehr wohlhabend und einer der drei Juden des Saardepartements, die in der Liste der 500 Höchstbesteuerten auftauchten. Vermutlich handelt es sich bei ihm um einen Sohn des Trierer Metzgers Samuel Detzem, der 1757 von der Metzgerzunft verklagt worden war, weil er entgegen der Judenordnung Fleisch pfundweise verkauft hatte.

In Trier-Maar lebte die jüdische Familie Casel (auch: Kasel); Moses Casel und Senkel Casel werden während der französischen Herrschaft in Trier als Mitglieder der Nationalgarde genannt (Kasper-Holtkotte 1995). Der Kaufmann Leib Kasel gehörte zu den Zeugen, die bei einer zivilrechtlichen Erklärung für Heinrich Marx, den Vater von Karl Marx, zugegen waren (Monz 1973).

Der Name des trierischen Juden Salomon Hirtz Mehringen (geb. ca. 1745) verweist auf das ebenfalls nahe Trier gelegene Mehring. In Mehring selbst wohnte die Familie Lieser, die durch ihren Namen eine Herkunft aus dem nahe Bernkastel gelegenen gleichnamigen Dorf anzeigt, wobei es allerdings in diesem Fall  nicht ganz ausgeschlossen ist, dass der Name auch eine Abwandlung des Vornamens Eleazar darstellen könnte. Ich halte die letztgenannte Deutung jedoch für eher unwahrscheinlich, zumal für das 18. Jahrhundert auch die Anwesenheit jüdischer Familien in Lieser bezeugt ist.   

2. Moselländische Familiennamen in Osteuropa

Viele rheinische Juden mit ortsbezogenen Familiennamen zogen, wie bereits erwähnt, im Lauf der Jahrhunderte nach Osteuropa. Besonders gut ist dies für berühmte rabbinische Familien dokumentiert, wobei man zu den bereits oben Genannten beispielsweise noch die Namen Bacharach, Mentz (Mintz etc.) und Worms erwähnen könnte  Aber natürlich sind nicht nur Rabbiner nach Polen, Böhmen, Mähren und in andere östliche Länder gezogen, sonderen auch zahlreiche andere Juden. Wie bei den Vertretern der erwähnten berühmten Namen Schapiro, Oppenheim, Landau, Bacharach und vielen anderen mehr, so wurden dabei auch andere deutsche - und speziell rheinländische -  Namen bei dieser Ostmigration als Ausdruck der ursprünglichen geographischen Herkunft beibehalten. Es wäre in diesem Zusammenhang sicher sinnvoll, einmal die Standardwerke (Beider 1993, 1996) des führenden jüdischen Namensforschers Alexander Beider daraufhin zu überprüfen, ob unter den von ihm erfassten über 80 000 jüdischen Familiennamen nicht auch solche sind, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf Ortsnamen im Raum zwischen Trier und Koblenz zurückgehen. Eine stichprobenartige Durchsicht dieser enormen Materialfülle ergibt in der Tat Hinweise auf solche Namen. Zwar besteht dabei meist das Problem, dass es für die Familiennamen auch andere Erklärungsmöglichkeiten gibt als den Rückgriff auf deutsche Ortsnamen, doch steht gerade die geographische Deutungsmöglichkeit anderen an Wahrscheinlichkeit nicht nach. So halte ich es beispielsweise durchaus für möglich, dass der jüdische Familienname „Kilbarg“ nicht, wie Beider meint, auf einen „kühlen Berg“ zurückgeht, sondern auf die eifelanische Ortschaft Kyllburg. Auch bei dem jüdischen Familiennamen „Meerfeld“ könnte eine Verbindung zu dem Eifeldorf gleichen Namens gegeben sein. Weitere genealogische und darüber hinausgehende historische Nachforschungen würden hier größere Klarheit schaffen.

Unter den zahlreichen aus dem osteuropäischen Judentum hervorgegangenen Gelehrten, Wissenschaftlern und Schriftstellern sind auch solche, deren Familiennamen ins Trierer Land zu verweisen scheint. In diesem Zusammenhang wäre beispielsweise an den großen Staatsrechtler und Rechtsphilosophen Hans Kelsen (Prag 1881 - Berkeley 1973) zu denken, den Schöpfer der Reinen Rechtslehre und Vater der österreichischen Bundesverfassung von 1920. Der Name dieses herausragenden Juristen lässt, wie auch sein Biograph Métall (Métall 1969) erwähnt, an das kleine Dorf Kelsen bei Saarburg denken. Ob wirklich eine Beziehung zu diesem Ort besteht, ist zwar noch nicht sicher erwiesen, doch spricht neben dem Namen auch der Umstand dafür, dass die Umgebung der Ortschaft Kelsen eine intensive und lange jüdische Vergangenheit aufzuweisen hat (Heidt/Lennartz, 2000).

Auch das Winzerdorf Kesten liegt in einem Gebiet mit einer langen und nicht zu unterschätzenden jüdischen Geschichte. Bereits 1329 wird der Jude Abraham von Kesten urkundlich genannt (Schmitt 1991); in den umliegenden Ortschaften, etwa in Osann, gab es bis zum 2. Weltkrieg teilweise uralte jüdische Gemeinden. So ist es keineswegs ausgeschlossen, dass die Vorfahren von Hermann Kesten (Podwoloczyska/Galizien 1900 - Riehen bei Basel 1996), einem der großen deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, der im Jahr 1974 mit dem Georg Büchner-Preis die höchste deutsche literarische Auszeichnung erhielt, gerade aus diesem Ort stammen und den Namen bei ihrer Ostwanderung genauso mitgenommen haben wie beispielsweise die Familien Creutznach, Koblenz, Luxemburg die ihrigen. Ebenso könnte es sein, dass der Familienname des Lyrikers und Essayisten Walter Mehring (Berlin 1896 - Zürich 1981), den K. M. Rarisch bei der Rezension einer Mehring-Biographie als „schärfsten politischen Lyriker des 20. Jahrhunderts in deutscher Sprache“ charakterisierte, auf das bei Trier gelegene Mehring zurückzuführen ist. Auch unabhängig von Walter Mehring ist der Name des gleichnamigen Moselorts, wie oben erwähnt, im Rahmen jüdischer Namensbildung zu finden; so wohnten beispielsweise 1745 Schmuel und dessen Sohn Sieskind Meering in Trier (Haller 1993).

III. Schlussbemerkungen

Die vorliegende Aufzählung jüdischer Namen mit moselländischem Bezug soll natürlich in keiner Weise abschließend sein. Nicht weiter behandelt wurde beispielsweise der Name „Trier“ oder seine französische Form Trêves samt ihren Abwandlungen, was damit zusammenhängt, dass die Geschichte der berühmten jüdischen Familie Treves, einer der ältesten überhaupt, allzu umfangreich ist und die Frage, ob deren Name auf Trier zurückgeht oder nicht vielmehr auf den französischen Ort Troyes, eine eigene Abhandlung verdienen würde. Unanhängig von dieser Diskussion steht aber fest, dass auch Trier für jüdische Familien namengebend wurde. Das gleiche gilt auch für weitere Moselorte, etwa Perl und Sierck. Schließlich könnte man auch die auf Hunsrück-Ortschaften bezogenen Namen hier erwähnen (z. B. die Wissenschaftlerfamilie Sobernheim), die ja in engem geographischen und historischen Bezug zum eigentlichen Moselgebiet stehen. Dass die von mir gewählten Namensbeispiele sich durchweg auf bereits vor 1800 verwendete Namen  beziehen, hängt damit zusammen, dass im napoleonischen Namensdekret von 1808, das die Juden zur Annahme von Familiennamen verpflichtete, Familiennamen, die auf Ortsnamen zurückgingen, grundsätzlich nicht zugelassen waren. Man kann sicher davon ausgehen, dass andernfalls viele jüdische Familien bei dieser Gelegenheit sich nach ihrem moselländischen Heimat- oder Herkunftsort benannt hätten. Dann wäre auch dadurch deutlich geworden, wie eng gerade im Moselraum jüdische und christliche Geschichte verknüpft sind.  



Literatur:


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Bungert, H.-P. / Wagner, G. : Die jüdische Bevölkerung im Einwohnerbuch Schweich 1669 bis 1880 (bzw. 1938)
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Faustini, P.: La communauté juive de Metz et ses familles (1565 - 1665). Florange 2001
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Meyer, P.-A.: La Communauté juive de Metz au XVIIIe siécle: histoire et démographie. Nancy 1993
Monz, H.: Karl Marx. Grundlagen der Entwicklung zu Leben und Werk. Trier 1973
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